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Tödliches Paradies

Tödliches Paradies

Titel: Tödliches Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gesichter, die ihn neugierig musterten. Die dunkle Frau an dem Tisch rechts, die den Löffel sinken ließ und ihn anstarrte, eine sehr schöne Frau mit mandelförmigen, schwarz umrandeten Augen. Drei Reihen Perlen umschlossen einen schlanken, weißen Hals. Sie trug ein grünes Kleid.
    Melissas Lieblingsfarbe! Sein Blick tastete sich von Tisch zu Tisch. Irgend jemand trat ihm entgegen. Tim nahm nur feines schwarzes Tuch wahr, dann zwei Augen hinter einer goldenen Halbbrille, wachsam und prüfend wie die eines Gerichtsvollziehers.
    »Verzeihung, mein Herr. Aber es ist Tradition des Hauses, das Restaurant nicht in Sportkleidung zu betreten.«
    Seine Gummisohlen knirschten zurück zur Treppe, und das Herz versuchte schon wieder verrückt zu spielen. Das zweite Ich in ihm, der besonnene, umsichtige Tim Tannert hatte noch mehr Mühe, sich Gehör zu verschaffen: Setz dich bloß in irgendeine Ecke. Von mir aus, rauch eine Zigarette. Renn nicht rum wie ein Vollidiot. Überlege …
    Doch was nützten all diese Mahnungen? Er konnte das Rad in seinem Schädel kreisen lassen, in welche Richtung er wollte – es rotierte leer.
    Wenigstens hatte er wieder einen Zimmerschlüssel. Der nette Pons hatte ihn ihm zugeschoben. So stand er nun in der ›Luxus-Suite‹ ; stand auf vornehmem, blaßblauem Teppichboden, in den man knöcheltief versinken konnte, starrte auf elfenbeinfarbene Einbauschränke, auf das Bett mit dem Baldachin, auf Hausbar, Fernseher und Sesselgruppe und sog das Schweigen in sich ein, das die Wände zu verströmen schienen.
    Melissas Schminkkoffer im Bad. Eine Lippenstiftspur auf einem zerknäuelten Kleenex. Zyklam – wie sie es mochte. Ihr seidenleichter, zitronenfarbener Sommermantel an der Garderobe …
    Und eine Stille, die weh tat. Sehr weh.
    Eine Stille, die ihm, ob er sich nun wehrte oder nicht, das Wasser in die Augen trieb …
    Pons war nicht allein. Ein junges Paar redete mit ihm, ein exotisches Paar dazu: Das Mädchen in einem wundervollen gold- und blaudurchwirkten Sari, der Mann daneben im schwarzen, eleganten Seidenblazer. Pons sprach Englisch. Was sprach er eigentlich nicht? Es ging um irgendein abhandengekommenes Flugticket. Der junge Inder ließ sich alles zwanzigmal erklären. Tim suchte nervös in seiner Hosentasche. Melissas Zigarettenpackung war zu einem Knäuel zerknautscht.
    »I beg your pardon.«
    Der Inder machte ihm höflich Platz.
    »Herr Pons!«
    »Bitte, Herr Doktor?« Pons braune Augen blickten nicht mehr so fürsorglich beruhigend wie bisher. Sein Job hatte Regeln, an die er sich hielt. Tim dachte daran, und es war ihm egal.
    »Herr Pons, ich verlange, daß Sie die Polizei rufen.«
    Irgend etwas geschah mit Pons' Gesicht. Er warf einen vorsichtigen Blick in die Runde und beugte sich weit vor: »Verzeihung! Ich fürchte, ich habe Sie nicht richtig verstanden: die Polizei?«
    »Ja.«
    »Darf ich den Grund erfahren?«
    »Mein Gott!« Tims Stimme zitterte: »Den kennen Sie doch. Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich meine Frau nirgendwo finden kann. Nicht draußen am Strand, nicht im Garten. Sie ist verschwunden. Sie ist außerordentlich pünktlich. Sie würde mich nie warten lassen.«
    »Wie lange warten Sie denn schon?«
    »Siebzig Minuten.«
    »Herr Doktor!« Tim kannte den Blick. Es war der Ausdruck, der in seinen eigenen Augen stand, wenn er es mit neurotischen oder hysterischen Patienten zu tun hatte. »Herr Doktor, ich verstehe ja Ihre Erregung. Aber siebzig Minuten? Was soll ich denn der Polizei mitteilen? Sie würden seit siebzig Minuten auf Ihre Frau warten? Die Guardia soll deshalb eine Streife schicken? Herr Doktor, überlegen Sie, was würde denn zu Hause bei Ihnen in Deutschland geschehen? Meinen Sie, die Polizei käme sofort?«
    Natürlich hatte er recht. Den Teufel würden sie tun. Aber dies war nicht der Tegernsee und nicht Rottach-Egern in Oberbayern. Dies war eine gottverlassene Landzunge auf einer spanischen Insel, Kilometer von der nächsten menschlichen Ansiedlung entfernt, umgeben von hohen Bergen, gefährlichen Abgründen, Klippen, ein unbewohntes Tal, in dem irgendein Irrsinniger ein gottverdammtes Luxushotel hingebaut hatte.
    »Herr Pons! Ich habe Melissa, ich meine, meine Frau überall gesucht. Im Hotel. Ich war im Garten. Ich war am Strand. Ich war oben am Tee-Pavillon, wo wir uns treffen wollten. Ich kann das doch nicht einfach hinnehmen? Ich – wir müssen doch etwas unternehmen!«
    »Und das wäre?«
    »Das fragen Sie? Wenn Sie schon die Polizei nicht im Haus

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