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Tödliches Paradies

Tödliches Paradies

Titel: Tödliches Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vielleicht mit Drogenabhängigen zu tun?«
    »Hören Sie, was immer Sie sich da zusammenbrauen, es haut nicht hin. Es stimmt nicht, kann gar nicht stimmen. Ich bin Praktiker. Ich habe eine Praxis auf dem Land, in Bayern. Es gibt keine großen Unbekannten.«
    »Auch das habe ich schon oft gehört, Tim.« Rigo hatte sich wieder in Bewegung gesetzt. Er sprach über die Schulter zurück: »Und dann waren sie doch da. Vielleicht nicht die großen Unbekannten, aber irgendwelche Typen, mit denen keiner gerechnet hatte, weil man nicht mit ihnen rechnen konnte. Ihre Frau ist also vollkommen gesund und glücklich?«
    »Hören Sie auf mit dieser blöden Fragerei!« Tim konnte sich nicht länger beherrschen.
    »Sagen wir ruhig gesund, Tim. Wie ich die Sache sehe, ist sie's auch jetzt. Also regen Sie sich bloß nicht auf. Sie kriegen sie schon wieder.«
    Er setzte sich erneut in Bewegung, ging den langen schmalen Pfad entlang, der zu der Mauer dort drüben führte.
    »Wie fühlst du dich, Melissa?«
    Die Stimme!
    Sie kam aus der Stille. Aus einem fernen, knisternden Nirgendwo.
    Sie hatte es schon zweimal versucht: Sie hatte die Augen geöffnet, sich umgeblickt, doch die Lider waren so entsetzlich schwer. Nun vollbrachte sie es ohne besondere Anstrengung. Bei ihrem ersten Blick, als die Sinne sich langsam aus den Tiefen der Bewußtlosigkeit befreien konnten, war es nur ein ungläubiges Tasten gewesen, eine Wahrnehmung, die sie nicht einordnen konnte.
    »Du hast dich kaum verändert. Weißt du das?«
    Die Stimme …
    »Auch jetzt nicht. Du, ich habe Fotografien von dir … Manchmal sehe ich sie mir an. Obwohl ich sie ja nicht brauche, mein Gedächtnis funktioniert noch.«
    Worte.
    Sie schienen auf sie herabzusinken, leise, leicht, streichelnd, so nahe … Sie erzeugten eine sonderbare, gewichtslose Intimität wie das gründämmernde Licht, in das der Raum getaucht war.
    »Hast du schön geschlafen, Melissa?«
    Worte, die man im Traum vernimmt. Das war es auch – ein Traum! Das Traumbild, zu dem die Stimme gehörte, bestand aus einer großen, zweiflügeligen Terrassentür, die von den Bögen zweier Fenster flankiert wurde. Und aus Vorhängen. Weißen Vorhängen …
    »Oder fühlst du dich benommen? Hast du Schmerzen? Nun sag schon.«
    Hatte sie Schmerzen? Diesen Druck im Innern der Augenhöhlen und ein feines, stechendes Schaben. Auch die Lider wurden wieder schwer. Sie fielen herab.
    »Melissa, weißt du, daß ich deine Narbe sehe? Jetzt kann ich sie erkennen. Ganz deutlich. Du hast dein Knie bewegt. Das ist gut – man sieht sie noch, die Narbe.«
    Welche Narbe? Sie versuchte nachzudenken.
    »Tadellos abgeheilt. Wirklich. Wie hieß der Chirurg noch, Melissa? Ja, Vranjek – ein Jugoslawe war das doch, nicht wahr, Melissa? Der Bursche konnte was. Nichts geblieben als ein kleiner zarter Strich auf deiner Haut.«
    Ein Strich auf deiner Haut.
    Und die Stimme sprach weiter.
    »Bei mir war's Taschner. Der alte Taschner in Heidelberg. Auch ein guter Mann, der Professor. Eine Kapazität sogar. Ich habe manchmal mit ihm zusammengearbeitet … Er hat sich angestrengt …«
    Angestrengt? Und nun ein leises Lachen. Wie sie es kannte, dieses Lachen! Es löste sich aus irgendeiner Schicht, die in ihr war, wurde laut, hallend, erzeugte Angst. »Na ja, viel zu holen war nicht für ihn. Der arme Taschner hat seine Zeit verschwendet. Aber du, Melissa? Nichts, nichts als ein weißer Strich.«
    Sie hatte sich etwas hochgerichtet. Das Knäuel des Kissens drückte gegen ihren Hinterkopf. Alle ihre Sinne waren darauf gerichtet, herauszufinden, woher die Stimme kam. Im Raum war niemand – und doch schien die Stimme sie einzuhüllen, so nah war sie.
    »Soll ich dir etwas sagen, Melissa – für mich ist diese Narbe wichtig. Ungemein wichtig. Und willst du wissen, warum? Weil sie etwas ganz Besonderes darstellt. Sie ist eine Art Sieg für mich. Auch wenn dir das etwas pathetisch vorkommt. Das ist sie. Sie ist nämlich der Beweis, daß alles so war, wie es gewesen ist. Und was bedeutet es?«
    Wieder dieses leise Lachen, das eher ein Kichern war. »Es bedeutet, daß du zu mir gehörst. Noch immer. Ich hoffe, du verstehst mich richtig, Melissa. Ich hoffe, du kannst überhaupt verstehen. Hörst du mich, Melissa?«
    Früher hatte sie oft von dieser Stimme geträumt. Früher konnte sie sich nicht einmal gegen sie wehren. Wie oft war sie schreiend in der Nacht aufgewacht? Doch das lag so weit zurück. Der Name, die Stimme – all das Schreckliche, was damit

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