Tödliches Paradies
in irgendeiner Schlucht in dieser verdammten Gegend hinuntergestoßen …«
Rigo wandte den schweren Kopf. Auf den hamsterähnlich aufgetriebenen Backen wuchsen graue Stoppeln, dazwischen glitzerte Schweiß. »Vergewaltigt, Mister? So was passiert hier schon. Aber umgebracht? Die Kombination ist in Spanien äußerst selten. Da machen Sie sich mal keine Sorgen.«
»Ihnen fällt wohl nichts anderes ein, als ›Machen Sie sich keine Sorgen‹!«
»Wollen Sie?« Der Brigada streckte ihm die Feldflasche entgegen. Tim nahm sie dankbar und ließ den dünnen schwarzen Kaffee durch die Kehle rinnen.
»Vergewaltigungen«, sagte Rigo und spuckte einen feinen Strahl Speichel gegen den nächsten Felsbrocken, »ich will Ihnen mal was sagen … Bevor ich hierherkam, war ich in Magaluff stationiert. Und das ist so ziemlich der beschissenste Strand auf ganz Mallorca. Nur Abfall und Schrott. Die Einheimischen wie die Touristen. Und von Magaluff haben sie mich nach Malaro an die Costa Brava verdonnert. Kennen Sie das? Jemals dort gewesen? Nein? Mataro, das ist Magaluff mal hundert! Jedenfalls, da gibt's das schon, was sie ›Vergewaltigung‹ nennen …«
»Wieso nennen?«
»Wieso? Weil es sich oft genug um eine ganz miese Komödie handelt«, sagte der schwere Mann mit der schweren Stimme. »Eine miese Komödie mit miesen Schauspielern, besoffenen und geilen Touristinnen und armseligen, geilen muertos de hambre, dämlichen Hungerleidern aus dem Süden. Aber das hier, das ist nicht Magaluff. Das ist Formentor. Und auch drüben in Alcudia geht's noch relativ zivilisiert zu.«
Er drehte den Kopf, das Lächeln auf den fettglänzenden Lippen wurde bitter. »Ich hab' meine Erfahrungen. Und meinen Riecher. Und noch was, Mister: Wenn es sich um eine Spanierin handeln würde, wär's was anderes. Aber die werden nicht vergewaltigt. Die bleiben schön brav zu Hause … Und falls was passiert, gehen sie auch nicht zur Polizei und machen eine Anzeige … Bei Ausländerinnen ist das anders. Die sind sofort da, rennen zur Polizei, schreien um Hilfe.«
Tim spürte seinen Magen: schreien um Hilfe?! Er blickte den Hang hinab. Dort zog sich die braune Sandsteinmauer hoch, die die Grenze des Hotelgrundstücks anzeigte. Drüben lag das Halbrund der Badebucht von Cala Pi. Einige verlassene Bungalows und Hütten gäbe es da, die sie noch durchsuchen müßten, hatte Rigo zuvor gesagt. Warum hatten sie nicht damit angefangen? Welchen Sinn hatte es, hier eine Felswüste zu durchstöbern? Es war immer dasselbe: Wenn die Hunde mal bellten, hatten sie höchstens ein Wildkaninchen aufgescheucht.
Rigos Männer hatten sich unten am Durchlaß versammelt. Er nahm sein Funksprechgerät und sagte ein paar spanische Sätze. Sie verschwanden zwischen den Pinien und den hohen kalifornischen Föhren des Parks.
»Ich muß Sie noch was fragen, Mister …«
»Hören Sie endlich mit diesem blöden ›Mister‹ auf! Ich bin kein Mister. Ich heiße Tannert.«
»Das ist es doch. Kann mir den Namen verdammt schwer merken. Ist Ihnen Señor lieber? Wie heißen Sie denn sonst noch?«
»Tim.«
»Tim?«
»Kommt von Timoteus.«
»Den Namen haben wir auch, Tim: Timoteo.«
»Und was wollten Sie fragen?«
»Ja, was?« Rigo rieb sich sein Kinn. »Erstens: Ist Ihnen schon mal passiert, daß Ihre Frau bei irgendeiner Gelegenheit einfach auf und davon ging?«
»Bei irgendeiner Gelegenheit? Heute ist mein Hochzeitstag! Deshalb sind wir hierhergeflogen. Das habe ich Ihnen vorhin schon erklärt.«
»Vielleicht hatten Sie Spannungen?«
»Wir hatten keine Spannungen. Wir waren glücklich.«
»Glück …« Rigo spuckte einen feinen Strahl Speichel zwischen die Gräser. Er wischte sich den Mund mit dem Taschentuch sauber und machte ein paar Schritte, um wieder stehenzubleiben und den Kopf zu drehen: »Glück ist auch so ein Wort, nicht? Aber vielleicht hat sie's mit den Nerven, Ihre Frau? Es gibt Menschen, die ganz plötzlich, ohne Vorankündigung, aus irgendwelchen Gründen, die man nicht versteht, die sie selbst nicht verstehen, einfach durchdrehen. Gehört sie zu diesem Typ?«
»Meine Frau ist Wissenschaftlerin, Biologin. Sie gehört bestimmt nicht zu dem Typ. Das ergibt sich schon aus ihrer Entwicklung, ihrem Beruf, ihren Aufgaben.«
»Aha, Aufgaben … Und was haben Sie für Aufgaben?«
»Sie meinen beruflich?«
»Ja.«
»Arzt. Das wissen Sie doch?«
»Haben Sie irgendwelche Feinde, Leute, die Ihnen nicht wohlwollen?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Haben Sie
Weitere Kostenlose Bücher