Tödliches Paradies
verbunden war – gelöscht.
Daran hatte sie so fest geglaubt.
Und nun.
»Nun Melissa, was sagst du? Nun sind wir wieder zusammen. Es war eine Entscheidung, die notwendig war. Aber ich habe sie nicht leichten Herzens getroffen. Ich habe mich gefragt, ist das richtig, was du da tust? Ich habe mich geprüft, Melissa – aber schließlich erkannte ich: Es gibt keine andere Wahl. Ja, es war notwendig, daß ich dich holen ließ. Und was notwendig ist, ist im tiefsten Sinne auch gut. Du wirst sehen, mein Herz, Notwendigkeit löscht alle Zweifel. Sie hat ihr eigenes Gesetz. Verstehst du das?«
Fischer!
Es war ein glühender Stromstoß, der über ihren Rücken fuhr. Ein Frösteln ergriff sie, das sie am ganzen Körper erzittern ließ.
Fischers Stimme!
Seine Sprache. Diese blödsinnige Art, an irgendwelchen Worten zu drechseln, damit sie mehr Gewicht erhielten.
Notwendigkeit … Gesetz?
Und: holen lassen …?
Wer hatte sie geholt? Und wie? Von wo?
Als die Stimme von der Narbe sprach, hatte Melissa hastig die Decke über die Beine gezogen und sich im Bett aufgerichtet. Nun sah sie sich um. Der Blick nach draußen wurde durch die Vorhänge versperrt. Der Raum war groß, oval, hell. Farbige Kissen lagen auf der Bank. In einem goldenen geschnitzten Rahmen hing ein Spiegel.
Und kein Mensch zu sehen. Noch immer nicht!
Sie lag allein, auf einem Bett. Sie war mit ihrem Slip und einem kurzen Hemd bekleidet, das nicht ihres war. Und diese jähe Stille? Die Stimme, hatte sie nur geträumt? … O nein, da war sie wieder:
»Jetzt bist du ja wirklich wach, was?«
Sein leises Lachen.
»Und jetzt fragst du dich auch, wie du wohl ins Bett gekommen bist. Aber mach dir keine Sorgen, mein Herz: Meine Haushälterin hat dich gestern ins Bett gebracht. Du wirst Madalena noch kennenlernen. Sie hat dir auch dieses Hemd angezogen. Denn schließlich, Melissa, warst du ja in einem Zustand, in dem du nicht agieren konntest. Das ließ sich nun mal nicht vermeiden. Und wenn du noch eine leichte Benommenheit fühlen solltest, das geht gleich vorüber.«
Sie drehte den Kopf. Das Wort ›vorüber‹ war von einem leisen Knistern begleitet. Es kam von der Seite. Ja, dort oben, auf der Holzkonsole, die in zwei Meter Höhe den ganzen Raum umlief, war ein Lautsprecher montiert: Ein flacher, im selben Holzton gehaltener Kasten.
Von dort also kam die Stimme? Aus einem Kästchen? Und in dem Kästchen war ein Lautsprecher? Aber wie konnte er sie sehen?
»Du wunderst dich, nicht wahr? Du kennst mich doch. Ich habe alles vorbereitet. Ich hatte nicht ganz vierundzwanzig Stunden Zeit dazu. Aber seit ich dich wiedersah, hab' ich mich entschlossen, das Wort Zufall nicht anzuerkennen. Schicksal – paßt dir das Wort? Nun beruhige dich. Du siehst mich nicht, weil ich dich nicht erschrecken wollte, wenn du erwachst. Ich aber kann dich beobachten. Wenn du hochblickst, zu der Holzschnitzerei, die die Vorhänge hält, dann siehst du eine Kamera. Eine ausgezeichnete übrigens. Ihr Objektiv ist so stark, daß ich sogar deine Narbe entdeckte.«
Sie verstand nicht, was er meinte. Aber sie blickte hoch: Kamera? Und richtig – dort, wo sich ein brauner, geschnitzter Holzfries die Decke entlangzog, starrte das gläserne Rund eines Objektivs auf sie herab.
»Ich benötigte das Ding schon einmal. Für einen Patienten. Für dich habe ich's nicht eingebaut, mein Herz, nicht, daß du meinst … Willst du jetzt aufstehen? Komm doch zur Türe.«
Sie rührte sich nicht. Aus irgendeiner Kammer ihres Gedächtnisses stiegen Fakten empor, Anwendungsmöglichkeiten, wissenschaftliche Zusammenhänge: Chlorpromazin …! Die Verbindung 4560 war ein Pharmakon, mit dem Fred in endlosen Versuchsreihen herumgespielt hatte. Mischte man es mit Reserpin oder mit Meprobamat, konnte man einen Menschen nach Bedarf ruhigstellen, glücklich machen oder ihn in einen schlagartigen Tiefschlaf versetzen, eine Art künstliche Ohnmacht, wie sie auch durch die jähe Senkung des Blutzuckerspiegels erreicht werden kann. Dabei konnte ein solcher Zustand durchaus als angenehm empfunden werden.
Das also! »Der Mensch ist nichts anderes als ein System biochemischer und elektrophysikalischer Schaltfunktionen …« Einer von Freds Lieblingssätzen.
»Steh auf, mein Herz. Du kannst das. Auf dem Sessel neben deinem Bett liegt ein Morgenmantel. Zieh ihn an, komm zum Fenster.«
Sie gehorchte. Als sie nun auf das Fenster zuging, verfolgte ein Teil ihres Bewußtseins jede ihrer Handlungen, während der
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