Toedliches Verlangen
Verandadach hindurch. Eine Sekunde später trat sie über die Schwelle, zersplittertes Glas knirschte unter ihren Stiefeln. Sie ging den schmalen Flur entlang. Als sie die rote Lache neben der Kücheninsel erblickte und die blutigen Fußspuren bemerkte, die langsam auf den Keramikfliesen trockneten, blieb sie kurz stehen. Dann betrat sie die Küche. Mit einem tiefen Atemzug riss sie sich zusammen und ging in weitem Bogen um die Kücheninsel herum. Sie trat vorsichtig auf. Die Leute von der Spurensicherung würden bald auftauchen. Sie wollte kein Beweismaterial zerstören … sie brauchten jeden Hinweis, um herauszufinden, was genau hier passiert war.
Das zumindest dachte sie, bis sie zum ersten Mal einen Blick auf Caroline Van Owen warf.
»O mein Gott«, flüsterte sie, den Handrücken vor dem Mund. »Dieser Scheißkerl.«
Das Mädchen lag auf dem Rücken. Man hatte sie aufgeschlitzt. Mac hatte sie gewarnt, aber trotzdem …
Angela schluckte den grässlichen Geschmack in ihrem Mund hinunter.
Das war nicht das typische Vorgehen ihres Täters. Keines der anderen Mädchen war schwanger gewesen. Aber Caroline? Bei Gott, jemand hatte … hatte … ihr das Baby direkt aus der Gebärmutter herausgeschnitten.
Keine Ähnlichkeit zu den ersten drei Morden.
Es war sogar so anders, dass sich Angela der Magen umdrehte. Sie schmeckte Galle.
Sie ging neben der Kücheninsel in die Hocke – nur Zentimeter von einer schwarzen Tasche und verstreuten medizinischen Utensilien entfernt – zwang sich, in den Arbeitsmodus umzuschalten und griff in ihre Hosentasche. Als Angela sich die Gummihandschuhe überzog, schaltete sie um und zog sich an den Ort zurück, der es ihr erlaubte, ihren Job zu erledigen – den Ort, den sowohl ihr Vorgesetzter als auch ihr Partner so liebten: die Welt des analytischen Denkens, die ihnen half, so verdammt viele Fälle zu lösen.
Aus Sekunden wurden Minuten. Wie viele, konnte Angela nicht sagen, während sie Hinweise aufnahm und analysierte … alles, ohne etwas zu berühren. Ihr Gehirn funktionierte wie eine Kamera, speicherte Bilder, die sie später mit absoluter Klarheit wieder abrufen konnte. Manche nannten diese Fähigkeit »fotografisches Gedächtnis«. Mac nannte es Magi e.
Ein leises Kratzen erklang hinter ihr auf den Keramikfliesen. Ohne vom Opfer aufzublicken, fragte sie: »Irgendeine Spur der Krankenschwester?«
Macs Räuspern hallte im kleinen Raum wider und verriet Angela deutlicher als Worte, dass ihr Partner ebenso empfand wie sie. Er hasste das, was er sah, genauso wie sie, diesen Tatort, der ein weiteres Mädchen das Leben gekostet hatte.
Mac bewegte sich hinter ihr und sagte: »Fußabdrücke … vielleicht Größe neununddreißig … hinter dem verrosteten Buick. Daneben noch mehr große Stiefelspuren.«
»Militärstiefel? Wie in der Stadt?«
»Ja.«
»Die kleineren könnten vielleicht von Caroline stammen.«
»Könnten sie, aber mein Gefühl sagt mir, dass es nicht so ist.« Mac lief auf die andere Seite der Küche und ging am gegenüberliegenden Ende der Kücheninsel in die Hocke. Als sich ihre Blicke über Carolines Leiche trafen, zuckte ein Muskel in seinem Kiefer. »Ich glaube, sie gehören Myst Munroe, unserer verschwundenen Krankenschwester.«
»Hmhmmmm.« Sie griff nach einem auf dem Boden liegenden Handy und ließ es aufschnappen. Treffer. Es gehörte der Krankenschwester. »Zur falschen Zeit am falschen Ort?«
»Vielleicht.« Er deutete mit dem Kinn auf das Opfer. »Das ist ein Präzisionsschnitt … chirurgisch sauber, keine Anzeichen von Zögern. Man braucht eine Menge Training, um das zu können.«
»Also was glaubst du? Ein Baby für den Schwarzmarkt?« Angela hoffte, dass es nicht so war. Ein Monster, das junge Mädchen umbrachte, war für jedes Ermittlerduo mehr als genug. Dass jemand eine Frau aufschnitt, um ihr das Kind zu klauen? Darüber wollte sie nicht nachdenken, bis die Beweise sie dazu zwangen. Sie zog die Augenbrauen zusammen und klickte sich durch die Anrufliste des Handys. »Hier ist ein Notruf verzeichnet.«
»Gleich aufgelegt?«
Angela schüttelte den Kopf. »Zwei Minuten und siebenundzwanzig Sekunden.«
Mac legte die Stirn in Falten, als er aufstand, um sein Handy aus der Tasche zu ziehen. »Ich besorge uns die Aufnahme. Und gebe eine Suchmeldung für Munroes Wagen raus.«
»Frag gleich nach einem Durchsuchungsbefehl … Wohnung, Finanzen, alles.« Angela ließ das Handy zuschnappen und griff nach dem Namensschild an der Arzttasche, die
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