Toedliches Versprechen
kalter Hauch durch das Klinikum. Vielen ihrer Kollegen war heute der Boden unter den Füßen weggezogen worden.
Ihr ebenfalls. Nur, dass sie zu Recht behaupten konnte, ihr war schon Schlimmeres passiert. Trotzdem war es einer der schlimmsten Tage, die das St. Josephs seit seinem Bestehen erlebt hatte.
Sie warf ihre Handtasche auf das Bett und trat vor den Spiegel. Es war erstaunlich. Gestern und heute Nacht waren Dinge passiert, die die Welt ihres kleinen Universums erschüttert hatten. Und doch sah sie aus wie am Tag zuvor, wie eine Woche zuvor. Sie strich mit den Fingerspitzen über ihre Wangenknochen. Ihre Augen waren müde, ihre Haut spannte. Aber das nahm nur sie wahr. Anzusehen war es ihr nicht.
Sie seufzte. Was sie brauchte, war eine erfrischende Dusche und ein Glas Wein, dann würde sie zeitig ins Bett gehen und sich auf den morgigen Tag freuen. Auf ihre erste richtige Verabredung seit Jahren. Doch zunächst musste sie aus ihren verschwitzten Klamotten raus. Sie zog sich aus, warf die Kleidung in den Wäschekorb und zog ihren Bademantel aus dem Schrank.
Im Bad stellte sie das Wasser an und beschloss, das Glas Wein bereits während einer ausgiebigen Dusche zu genießen. In dem Moment, in dem sie aus dem Bad trat, um in die Küche zu gehen, schlug ihre Wohnungstür zu. Ihr Herz verfiel in Galopp. Sie hastete in ihr Schlafzimmer. Da war niemand. Im Wohnzimmer auch nicht, es war zu klein, um eine Versteckmöglichkeit zu bieten. Vorsichtig schlich sie zur Tür und spähte durch den Spion. Nichts.
Mit verschwitzten Händen griff sie nach dem Pfefferspray, das immer auf dem Tischchen im Flur bereitlag. Zitternd hielt sie es vor sich und öffnete die Wohnungstür einen Spalt. Nichts.
Auf Zehenspitzen trat sie auf den Treppenabsatz und spähte nach unten. Da war niemand. Einen Moment lang lauschte sie. Das Einzige, was zu hören war, war eine Gameshow, die sich der Russe im Erdgeschoss ansah. Er war schwerhörig und stellte den Fernseher immer zu laut ein. Hannah holte tief Luft und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Dann schüttelte sie den Kopf. Verdammt. Sie war schon so durch den Wind, dass sie Gespenster sah, oder besser gesagt, hörte.
Langsam kehrte sie in ihre Wohnung zurück und legte das Pfefferspray an seinen Platz. Der Schreck hatte ihr das letzte bisschen Energie geraubt. Sie füllte ein Glas mit Wasser und trank es in großen Zügen an Ort und Stelle.
Ihr Handy, das sie beim Nachhausekommen auf den Küchentresen gelegt hatte, begann zu klingeln. Erschrocken zuckte sie zusammen. Das Glas glitt ihr aus der Hand und zerschellte im Spülbecken. »Mist«, zischte sie. Ihre Hände zitterten noch immer. Die Nummer des Anrufers war ihr unbekannt. Einen Moment zögerte sie, dann schalte sie sich innerlich eine dumme Pute und nahm das Gespräch an. »Hallo?«
»Hannah? Hi, hier ist Josh.«
»Josh?« Sie ließ sich auf den Barhocker am Küchentresen sinken.
»Ich wollte nur wissen, ob du gut zu Hause angekommen bist. Du bist doch zu Hause, oder?«
Hannah kniff sich in die Nasenwurzel, um die Kopfschmerzen zu unterdrücken, die sich hinter ihrer Stirn zusammenbrauten. »Woher hast du meine Nummer?«
»Von meiner Mutter.« Er hielt kurz inne. »Hör mal, ist alles okay?«
»Natürlich.« Hannah hatte das Bedürfnis, ihren Kopf gegen die Wand zu schlagen.
Joshs Stimme wurde leiser, sanfter. »Ich wollte nur hören, ob du gut nach Hause gekommen bist. Die Morde an deinen Kollegen machen mich ein wenig nervös. Ich glaube nicht, dass du in Gefahr bist«, ergänzte er, als sei ihm bewusst geworden, wie das Gesagte auf sie wirken musste. »Ich wollte mich einfach nur persönlich davon überzeugen.«
»Ja, sicher.« Hannah warf einen Blick auf ihre Wohnungstür. In ihrem Nacken stellten sich die Härchen auf. Unbehaglich fuhr sie sich über den Hals. Sie machte sich verrückt. Niemand war in ihrer Wohnung gewesen und ihr drohte auch keine Gefahr, nur weil zwei ihrer Kollegen getötet worden waren.
»Ich bin morgen um zwei bei dir«, drang Joshs Stimme durch ihre Gedanken und holte sie in die Wirklichkeit zurück.
»Woher weißt du, wo ich wohne?«
»Von meiner …«
»Von deiner Mutter«, beendete sie seinen Satz. »Schon klar. Ich muss jetzt Schluss machen, Josh. Wir sehen uns morgen.« Hannah legte auf, ohne auf seine Erwiderung zu warten. Vorsichtig sammelte sie die Glasscherben aus dem Spülbecken und warf sie in den Müll. Dann schenkte sie sich ein Glas Weißwein ein und nahm einen großen
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