Toedliches Versprechen
interessierte. Ein Umzug kam nicht infrage. Im Wohnheim waren wenigstens noch Leute um sie herum. In einer eigenen Wohnung hätte sie sich ihm nur noch mehr ausgeliefert. Hannah sprang auf und begann, in der Küche auf und ab zu laufen. Fudge legte seinen Kopf auf die Vorderpfoten und beobachtete sie, jederzeit bereit, sie wieder mit seiner Liebe zu überschütten.
»Ein Jahr lang terrorisierte er sie. Mittlerweile hatten sich beinah alle Freunde von ihr abgewandt. Nadine installierte eine versteckte Kamera in ihrem Zimmer und zeichnete auf, wie er bei ihr einbrach, in ihren Sachen herumschnüffelte und ihre Unterwäsche einsteckte. Ha!« Sie stützte ihre Hände auf den Küchentresen und schüttelte den Kopf. »Er bekam eine Rüge von der Collegeleitung. Kannst du dir das vorstellen? Eine Rüge!«
Beruhigt registrierte Josh den Zorn, der in ihren Augen blitzte. Gut, wenigstens kehrte ihr alter Kampfgeist zurück.
»Immerhin konnte Nadine mit diesen Aufnahmen eine einstweilige Verfügung gegen Gordon erwirken. Aber das hielt ihn nicht davon ab, sie zu terrorisieren. Er fand immer wieder einen Weg, an sie heranzukommen. Die Campuspolizei unternahm nichts mehr, wenn sie anrief.
Meine Schwester wurde depressiv und hat angefangen, sich mit Selbstmordgedanken zu plagen. Ein paar Mal hat sie überlegt, Schlaftabletten zu nehmen. Sie konnte nichts mehr essen und sonderte sich von den wenigen Freunden, die ihr geblieben waren, ab.
Selbst ich kam nicht mehr an sie heran. Sie verbot mir immer wieder, sie zu besuchen. Unser Kontakt beschränkte sich auf E-Mails, Skype und das Telefon.
Schließlich unternahm sie einen letzten Versuch, dermaßen hässlich zu werden, dass er endlich von ihr abließ. Sie wog nicht einmal mehr fünfzig Kilo und trug nur noch weite, unförmige Kleidung. Es half nichts. Sie schnitt sich ihre Haare ab und färbte sie schwarz.« Hannah rieb sich über das Gesicht und erschauderte. »Es sah schrecklich aus. Sie wirkte wie eine wandelnde Leiche. Aber diesen verdammten Mistkerl hielt es nicht davon ab, ihr nachzustellen.
Sie konnte nicht mehr zu den Vorlesungen gehen, konnte nicht mehr lernen. Aber sie hätte ihr Stipendium verloren, wenn sie nicht bald bessere Noten bekommen hätte. Die Einzige, die ihr glaubte, war die Frau, die für ihr Stipendium verantwortlich war. Sie half Nadine schließlich, das Stipendium umzuschreiben und auf die UCLA zu wechseln.
Es war schön zu sehen, wie der Lebensmut in meine Schwester zurückkehrte. Sie lächelte wieder öfter und erzählte mir am Telefon von den Plänen, die sie für Los Angeles hatte. Sie war aufgeregt, zuversichtlich.«
Hannah setzte sich wieder Josh gegenüber, als hätte sie die Kraft verlassen. Sie stützte die Ellenbogen auf den Tisch und legte den Kopf in die Hände. »Natürlich konnte sie nicht einfach gehen. Ihr Wechsel nach LA sollte ein Geheimnis bleiben. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wollte sie ihre Sachen packen und verschwinden. Es war genau die Nacht, in der Gordon beschloss, sich nicht länger zurückzuhalten. Er überwältigte sie in ihrem Zimmer und erstach sie. 47 Messerstiche. Eine Kommilitonin sah ihn blutüberströmt aus ihrem Zimmer kommen, das Messer mit seinen Fingerabdrücken steckte noch in meiner Schwester.« Einen langen Moment schwieg Hannah, das Gesicht in ihren Hände vergraben. »Er bekam lebenslänglich. Aber er wurde nicht wegen Mordes, sondern Totschlages im Affekt verurteilt. Er hat behauptet, es wäre ein Streit gewesen, der aus dem Ruder gelaufen war. Und die Jury glaubte ihm.«
Langsam hob sie den Kopf aus den Händen und sah Josh mit brennendem Blick fest in die Augen. »Jetzt ist er hier. Er ist in Boston. Er will mich umbringen.«
18.
» W as?« Josh griff nach ihren Händen. »Was willst du damit sagen? Wieso ist er frei?«
»Er ist aus dem Gefängnis geflüchtet. Schon vor ein paar Wochen. In letzter Zeit sind einige merkwürdige Dinge passiert, die ich zunächst nicht zuordnen konnte. Aber heute Morgen habe ich ihn gesehen. Und jetzt begreife ich auch, was all die Merkwürdigkeiten zu bedeuten hatten.« Sie erzählte Josh alles, was ihr in den vergangenen Tagen aufgefallen war. »Verstehst du? Er hat mir die weißen Rosen ins Krankenhaus geschickt. Er hat rote Rosen in meiner Wohnung hinterlassen. Es ist genau das gleiche Vorgehen wie bei Nadine. Als Nächstes kommen schwarze Rosen. Die hat er meiner Schwester geschickt, bevor er sie umbrachte.«
»Hast du mit der Polizei
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