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Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Tödliches Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu. Xiaolong
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Shanghai abgeben, die ebenfalls ständig darüber klagte, dass er noch unverheiratet war.
    Das Rezept enthielt den Hinweis, dass die Kräutermischung täglich frisch für ihn aufgekocht werden musste. Wie ihm der Apotheker der Klinik versicherte, war das kein Problem: Auf Anordnung von Direktor Qiao stand Chen jede gewünschte Dienstleistung zu.
    Nach dem Besuch in der Klinik, ging der Oberinspektor nicht zurück zu seiner Villa, sondern setzte seinen Rundgang fort. Er war keineswegs glücklich über die Bevorzugung hier im Erholungsheim, die ihm eigentlich ja gar nicht zustand. Ihm war nicht entgangen, dass einige der alten Herren ihn interessiert musterten. Kennen würde ihn hier vermutlich niemand, aber er fiel allein schon durch sein Alter auf.
    Er überquerte eine kleine, menschenleere Lichtung, stieg ein paar Steinstufen hinauf und befand sich auf der Rückseite des Erholungsheims, von wo sich ein kleiner Pfad den Hang hinunterschlängelte. Er war mit Wildblumen überwachsen und endete nach einigen Serpentinen an einem Maschendraht, der das Gelände vom Seeufer trennte. Zwischen Wasser und Zaun lag nur eine menschenleere Straße.
    Am Fuß des Abhangs setzte er sich auf einen Felsen und zog Huangs Fax hervor. Es schien keine wirklichen Neuigkeiten zu enthalten. Nach mehrmaliger Lektüre überlegte er, wie er sich in die Ermittlungen einbringen und gleichzeitig im Hintergrund bleiben konnte. Es wäre momentan wohl keine gute Idee, persönlich am Tatort zu erscheinen oder Verhöre mit potentiellen Verdächtigen zu führen. Ein informelles Gespräch mit jemandem, der nicht unmittelbar im Fokus der Ermittlungen stand, wäre hingegen sicher kein Problem. Zum Beispiel ein Besuch bei Frau Liu. Er konnte zwar nichts direkt Verdächtiges an ihrem Verhalten entdecken, doch ihr eiliger Aufbruch nach Shanghai, kaum dass sie vom Ausbleiben ihres Mannes erfuhr, hatte sein Interesse geweckt. Außerdem konnte sie ihm mehr über Liu erzählen.
    Eine weitere Informationsquelle war Shanshan. Bei ihr würde er sich besser nicht als Polizist zu erkennen geben. Er holte sein Handy hervor, wählte dann aber doch nicht. Auch wenn er sich selbst versicherte, er handele in bester Absicht, blieb ein ungutes Gefühl. Erneut fragte er sich, ob die Drohanrufe nicht doch etwas mit dem Mord zu tun hatten.
    Er unterstrich einige Sätze in dem Fax, die genauerer Untersuchung bedurften. Etwa den Zeitpunkt und Ablauf des Mordes. Dazu notierte er sich eine Vermutung am Rand.
    Dann überkam ihn eine so plötzliche Müdigkeit, dass er sich, obgleich es noch früh am Tag war, die Augen reiben musste. Vielleicht hatte die Diagnose des Arztes einen hypnotischen Effekt auf ihn.
    Als er wieder aufblickte, entdeckte er zu seinem Erstaunen etwas weiter nördlich im Zaun eine kleine Pforte, die von außen kaum sichtbar war. Jemand musste sie benutzt und dann offengelassen haben. Er trat näher und spähte hinaus. Seiner Schätzung nach befand er sich auf der Höhe einer Touristenattraktion namens »Insel des frostbedeckten Hühnerhabichts«, die auf seiner Karte eingezeichnet war. Er machte sich auf den Rückweg, und in der ihn umgebenden Stille fielen ihm die Zeilen eines Tang-Dichters ein:
    Nur das Geräusch / vom Fall eines winzigen Kiefernzapfens   / hier in den entlegenen Bergen … / Du, ein Einsiedler / musst wach bleiben.
    Er suchte seine melancholische Stimmung durch Selbstironie zu vertreiben. Schließlich handelte dieses Tang-Gedicht von einer nächtlichen Szene in den Bergen und nicht am See. Und wer bitte war dieser »Einsiedler«?
    Er war kaum in seiner Suite angelangt, als ein Zimmermädchen ihm die frisch gebraute Medizin in einer Thermosflasche brachte.
    »Am besten, Sie trinken das jetzt gleich«, erklärte sie ihm mit zuckersüßem Lächeln. »Ein frisch zubereitetes Dekokt kann Wunder wirken. Die nächste Portion wird Ihnen heute Nachmittag gebracht.«
    Anschließend musste er sich den Mund spülen, um den bitteren Geschmack loszuwerden. Gleich darauf erhielt er einen Anruf von Direktor Qiao.
    »Heute müssen wir unbedingt mit Ihnen zu Mittag essen, Oberinspektor Chen.«
    »Aber nein, das ist wirklich nicht nötig. Sie haben schon so viel für mich getan, Direktor Qiao.«
    »Wir würden gern etwas mit Ihnen besprechen.«
    »Worum handelt es sich denn?«
    »Wie Sie wissen, wird das Erholungsheim vom Staat finanziert, aber im Gegensatz zu normalen Krankenhäusern haben wir keine zusätzlichen Einnahmequellen. Wir denken über eine Reform

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