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Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Tödliches Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu. Xiaolong
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stimmte ihn melancholisch. Es war wie ein Déjà-vu, was vermutlich mit den Zeilen seines Lieblingsdichters Su Shi aus der Sung-Zeit zusammenhing, die ihm plötzlich in den Sinn kamen:
     
    Damals und heute, nichts als ein Traum.
    Wer wäre je daraus erwacht?
    Es gibt nur die ewige Wiederkehr
    von alter Freude und neuem Leid.
    Vielleicht wird ein anderer zu einer anderen Zeit
    des Nachts für mich seufzen vor dem gelben Turm.

5
     
    DAS ERHOLUNGSHEIM WAR eigentlich ein recht angenehmer Ort.
    Am frühen Dienstagmorgen unternahm Chen einen Rundgang auf dem Gelände, um sich einen Überblick zu verschaffen. Schon die Lage war einzigartig. Rasch wurde ihm klar, dass hier nur an das Wohl der Elite gedacht worden war. Ein großer Teil des ursprünglich öffentlichen Uferparks war zur ausschließlichen Nutzung durch verdiente Kader abgeteilt worden. Dort hatte man ein Zentrum errichtet, wo Parteiveteranen in Ruhe den Seeblick genießen konnten, ohne mit Touristenmassen in Berührung zu kommen.
    Chen sah andere Gäste gemächlichen Schritts durch die Anlage spazieren. Ein jeder von ihnen musste irgendwo, ganz gleich ob in einem Provinznest oder in der Großstadt, ein Leben voller Machtfülle und Privilegien führen. Doch da die meisten der Erholungsuchenden die vom Heim gestellten blau-weiß gestreiften Pyjamas trugen, versanken sie in zeitweiliger Anonymität.
    Und dennoch existierte selbst hier eine erkennbare hierarchische Ordnung. In den beiden mehrstöckigen grauen Gebäuden unweit des Eingangs gab es Zimmer wie im Hotel. Obgleich jedes einen eigenen kleinen Balkon hatte, handelte es sich dabei ganz offensichtlich nicht um Unterkünfte für wirklich ranghohe Kader. Diese waren wohl eher in einem Gebäude mehr im Zentrum der Anlage untergebracht, wo das Ausmaß der Balkone auf deutlich größere Zimmer schließen ließ. Auf einem von ihnen sah Chen einen weißhaarigen Mann im dritten Stock, der sich streckte und ihm grüßend zunickte. Chen nickte zurück und ging weiter.
    Dann kam er zu einem Teehaus im traditionellen chinesischen Stil, ähnlich dem, das er gestern im Park besucht hatte. Es stand, von Bäumen umrahmt, auf einer Anhöhe in unmittelbarer Nachbarschaft eines modernen Zweckbaus. Einige ältere Herrschaften tranken auf der weißen Steinveranda ihren Tee und knackten Melonenkerne.
    Chen überlegte, ob er hier den mehrere Seiten umfassenden vorläufigen Bericht durchlesen sollte, den ihm Polizeimeister Huang am Morgen gefaxt hatte. Der Oberinspektor hatte noch immer nicht entschieden, ob er sich in die laufenden Ermittlungen einschalten sollte.
    Dann entdeckte er eine Rolltreppe, die zum Teehaus hinaufführte. Sie war einfach mitten auf dem Hügel installiert. Parallel dazu verliefen Steinstufen, die man wahlweise benutzen konnte.
    Doch Chen wandte sich der Klinik zu, die ebenfalls zum Erholungsheim gehörte. Laut Prospekt wurden dort medizinische Check-ups für die meist betagten Gäste des Zentrums durchgeführt.
    Die Klinik hatte nichts gemein mit einem Krankenhaus in Shanghai, wo Patienten lange warten, anstehen und viele Formulare ausfüllen mussten. Hier schienen vielmehr die Krankenschwestern nur auf ihn gewartet zu haben. Die Ausstattung war offenbar auf dem neuesten Stand – Geräte, die zum Wohl der Parteiveteranen aus dem Ausland importiert worden waren.
    Chen hatte zwar nicht den Eindruck, dass ihm ernstlich etwas fehlte, aber wo er schon mal hier war, entschied er sich für eine Untersuchung bei einem alten Arzt für traditionelle chinesische Medizin. Dieser fühlte seine Pulse, nahm den Zungenbelag in Augenschein und maß den Blutdruck. Dann gab er seine Diagnose in einer Mischung aus Fachjargon und breitem Anhui-Dialekt ab: »Sie haben zu hart gearbeitet und das yin in Ihrem Körper überstrapaziert. Als Folge leiden Sie jetzt unter Qi-Mangel und einem zu kräftigen yang . Ihr inneres Gleichgewicht ist aus der Balance geraten, ich kann jedoch keine ernsthaften Erkrankungen entdecken.« Er kritzelte etwas auf einen Rezeptblock und fügte dann nachdenklich hinzu: »Sie leben allein, nicht wahr?«
    Chen glaubte zu wissen, worauf der Arzt hinauswollte. Die traditionelle chinesische Medizin geht davon aus, dass die Menschen durch die Ehe eine Harmonisierung von yin und yang erreichen. Für einen Mann seines Alters konnte dauerhafte Enthaltsamkeit zu gesundheitlichen Problemen führen. Der alte Arzt in Wuxi würde, so überlegte Chen amüsiert, einen idealen Verbündeten für seine Mutter in

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