Toete John Bender
habe noch ungefähr zehn Minuten auf Andi gewartet und bin dann wieder zurück. Was sollte ich sonst machen?«
Jens sah Tom an. Erwartungsvoll und defensiv, daher wirkte seine Haltung etwas linkisch. Tom sog an seiner Zigarette, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und rieb sich den Hals.
»So ein Scheiß«, zischte er, ohne einen Vorwurf in der Stimme, und Jens entspannte sich sichtlich. »Wir waren Wasser holen und an der Wasserstelle waren überall tote Fische.« Jens sah bei dieser Nachricht erschrocken auf. »Einige wollen das Wasser nicht trinken. Kann ich verstehen, würde ich auch nicht wollen, nur Wolfgang zeigte sich auf einmal handzahm.«
Tom musste bei dem Gedanken an Wolfgang, wie dieser den toten Fisch inspiziert hatte, auflachen.
»Ist denn das Wasser verunreinigt?«, wollte Jens wissen.
»Hä? Wie meinst du? Ach so, nein, die Fische sind irgendwie aufgeschlitzt worden, oder zerfetzt trifft es fast besser. Am kleinen Strand, im Wasser – bestimmt zwanzig Stück!«
»Zerfetzt?«, fragte Jens nach und sann über die Bedeutung des Wortes nach.
»Ja, zerfetzt«, bestätigte Tom nachdenklich und schnippte die Zigarette weg. »Hör zu, Jens. Du kochst jetzt mit allen was zum Abendessen. Nimm von mir aus alles, was wir mitgebracht haben. Wir werden sehen, wie wir Morgen weiterkommen. Notfalls fährt einer von uns auf´s Festland und wir holen Hot Dogs für alle. Ich werde zum Lager gehen und schauen, was mit dem Funkgerät los ist. Alles klar?«
Jens sah seinen Vorgesetzten erschrocken an. »Ich soll … mit ihnen …? Ok. Und wenn sie fragen, warum du nicht da bist?«
Das hatte Tom sich auch schon überlegt und darauf keine wirklich gute Antwort gefunden.
»Sag ihnen, es gab auf der ›Paloma‹ einen Notfall, weswegen die Mannschaft mit dem Boot an Land musste. Du weißt nicht, wie lange das dauert. Denk dir einen Notfall aus, aber mach es nicht zu heftig, Doris ist eh schon verängstigt. Vielleicht …« Er sah zum Himmel auf der Suche nach einer Inspiration. »… ein Schnittunfall. Hat stark geblutet, nichts Ernstes, muss aber genäht werden, in Ordnung?«, begeisterte er sich für seine Idee.
Jens nickte anerkennend.
»Sag aber nichts von dem kaputten CB-Funk, das werde ich mir erst einmal ansehen. Sag ruhig, ich nehme mit der ›Paloma‹ Kontakt auf, weil ich wissen muss, was dort los ist und wie es für uns weitergeht. Und achte vielleicht ein wenig auf Doris, ja?«
»Ja, mach ich.«
Tom drehte sich um und ging los.
»Tom?«
»Ja?«
»Sei vorsichtig, ja?«
»Ja!«
Tom ging weiter. Jetzt fing sogar Jens an, unruhig zu werden. Was war denn hier bloß mit allen los? Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Jens die Dünen hinaufkletterte. Als dieser außer Sichtweite war, lief er so schnell es ging zur Bucht.
***
E ine leichte Brise raschelte in den Blättern der knorrigen Holunderbüsche und der eingewachsenen Sandorn- und Schlehensträucher. Das Rauschen der Brandung verebbte mit jedem Schritt, den er sich dem Bootssteg und dem kleinen Schuppen näherte. In der Bucht war es windstill und das Wasser kräuselte sich nur leicht auf der Oberfläche. Tom beschritt den gewundenen Pfad, der zur Anlegestelle führte. Kein Boot, kein Andi! Ein unbehagliches Gefühl nistete sich in ihm ein. Nicht die Sorge vor den Konsequenzen, die für ihn dadurch entstehen würden: Doris, die zusammenbrach, eine Gruppe, die schlimmstenfalls abbrechen wollte, oder mögliche Firmenkunden (auch große), die er dadurch verlieren konnte. Das alles löste bei ihm Stresssymptome aus, die er von Berufswegen kannte und die zugegebenermaßen immer unerträglicher wurden. Aber das unbehagliche Gefühl speiste sich auch aus dem Verdacht, sich beobachtet zu fühlen. Er war hier nicht allein, schoss es ihm durch den Kopf und er verlangsamte seinen Schritt. Gab es Beweise für seine Vermutung oder verließ er sich ausschließlich auf sein Bauchgefühl? Tom hielt inne und spähte zum Anlegesteg und zum Schuppen, der sich in eine dicht gewachsene Baumgruppe und somit auch vor den meisten neugierigen Blicken zurückzog. Scheinbar friedlich lag er vor ihm. Wäre der Schuppen etwas ansehnlicher gewesen, hätte es das Motiv auf eine Postkarte schaffen können.
Aber Tom glaubte, dass der friedliche Schein trog. Die Vögel! Kreisten sonst Möwen über der Anlegestelle oder hüpften Finken und Zeisige zwitschernd durch das dichte Blattwerk der Gebüsche, fehlte jetzt jeglicher Laut ihrer Existenz. Grillen zirpten, aber die
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