Toete John Bender
aufzuschrauben. Vor der Tür kniete er sich hin und löste Schraube um Schraube. Sie ließen sich ohne Anstrengung herausdrehen. Zu einfach vielleicht. Tom untersuchte die letzten beiden Schrauben im Gehäuse. Er war unschlüssig. Der Lack war von den Schraubenköpfen abgeblättert, an einem Schraubenloch zog sich ein Kratzer über die Lackierung. Sicherlich ein Indiz dafür, dass das Gehäuse geöffnet worden war, aber kein Hinweis darauf, dass es erst vor Kurzem geschehen war. Er öffnete das Gehäuse und wich einem Reflex folgend zurück. Hatte er elektronische Innereien, wie Platinen, Drähte, Transformatoren und Ähnliches erwartet, so wurde er durch einen geschmolzenen und verätzten Klumpen überrascht. An der Innenseite des Gehäuses hatte sich eine grün-gräuliche Kristallschicht gebildet. Säure , mutmaßte Tom. Jemand hatte die Funkstation aufgeschraubt, mit Säure verätzt und wieder zugeschraubt. Warum? Ratlos schüttelte Tom mit dem Kopf, fingerte sich eine Zigarette aus dem Etui und zündete sie gedankenverloren an. Warum das alles? Er konnte keine Zusammenhänge zwischen den Vorfällen erkennen, außer dem einen, dass alle Vorfälle für sich genommen so unwahrscheinlich waren, dass sie der Wahrscheinlichkeit nach zusammenhängen mussten.
Aber warum, verdammt noch mal, war Andi nicht gekommen oder hatte zumindest eine Nachricht hinterlassen? Dieser Aspekt bereitete Tom am meisten Sorge. Ein Verrückter auf der Insel war keine angenehme Aussicht, aber es wäre möglich gewesen. Mal angenommen, auf einem Feuer hätte er sich eine Rinderkeule zubereitet, diese verspeist und dann gepflegt zwischen den Dünen onaniert. Danach hatte er einen Spaziergang zum Süßwassersee unternommen und dort zwei Dutzend Fische gequält, zerfetzt, am Strand und im See zu einem morbiden Kunstwerk verteilt. Und zwischendurch hatte er den Schuppen entdeckt, ein wenig randaliert, und weil ihm langweilig geworden war, hatte er die CB-Funkanlage aufgeschraubt und mit der Säure, die er immer in seiner Gesäßtasche mit sich trug, bearbeitet. Davon hatte er Nasenbluten bekommen und war dann schnell mit seinem Boot vom Steg nach Hause zu Frau und Kindern abgefahren und hatte das blutgetränkte Taschentuch als Andenken zurückgelassen. Zugegeben, äußerst unwahrscheinlich, aber immerhin möglich. Irgendwie. Aber warum Andi nicht hier gewesen war, dieser Umstand ließ Tom keine Ruhe.
Ruhe. Etwas hatte sich verändert. Tom nahm seine Umgebung wieder wahr. Vereinzelt begannen die Vögel zu zwitschern und er sah sie wieder zwischen den Zweigen herumhüpfen. Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, behielt die Luft lange bei sich und ließ den Rauch stoßweise entweichen.
Mal anders gedacht. Angenommen, alles wäre geplant gewesen. Jemand wusste, dass sie auf dieser Insel sein würden. Jemand hatte sich darauf vorbereitet. Dann stellte sich die Frage, wie hatte er es wissen können und welches Motiv hatte diese Person? Warum tat jemand so etwas? Wollte dieser Jemand seiner Firma oder sogar ihm persönlich schaden?
Diese Fragen erzeugten ein mulmiges Gefühl in seiner Magengegend und er verdrängte sie vorerst. Konnte es eine Episode aus ›Die versteckte Kamera‹ sein? Er schmunzelte kurz bei dem Gedanken und verwarf ihn schnell, da das hier Gebotene schon längst die Grenzen des guten Geschmacks überschritten hatte und nicht mehr sendefähig gewesen wäre. Wenn sich also diese Ereignisse gegen seine Firma oder ihn selbst richteten, wer war dazu imstande und warum? Wieder kreisten seine Gedanken um diese Frage. Er fahndete nach einer Möglichkeit, aber es war, als wollte er in einer vollen Badewanne nach einem Stück Seife greifen. Weiterführende Gedanken in diese Richtung unterließ er und überlegte stattdessen, wie er jetzt handeln sollte. Sie hatten Proviant für den heutigen Abend und den nächsten Morgen. Für den kommenden Mittag musste er sich schon etwas einfallen lassen, und das Fehlen sämtlicher angenehmer Überraschungen für den Abend würde sich auf die Stimmung niederschlagen.
Ein Geistesblitz traf ihn. Bei der Grundsteinlegung des Schuppens und der Anlegestelle hatten Lydia und er nach dem dritten Glas Wein beschlossen, Tyreholm als ihre Pirateninsel zu weihen. Und was wäre eine Pirateninsel ohne ein Schatzversteck gewesen? Unter dem Fußboden lag ein Kriechkeller in dem sie eine Kiste versteckt hatten, für den Fall, dass sie einst hierhin flüchten mussten. Er erinnerte sich, wie sie darum albernd
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