Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
essen. Allerdings hatte sie den Verdacht, dass ihre Mutter die Hälfte davon wegwarf oder verschenkte.
Gudrun Röög war heute in guter Verfassung. Sie hatte sich einen langen schwarzen Strickrock, eine blaue Bluse und eine helle Strickjacke angezogen und saß aufrecht in ihrem Ohrensessel. Der Tisch war mit dem guten Teegeschirr gedeckt, und sie hatte Zimtschnecken besorgt.
»Du musst dich doch für mich nicht so schön anziehen«, sagte Eva.
»Für wen denn sonst? Schonen muss ich die Sachen ja nicht mehr. Außerdem sollst du mich in guter Erinnerung behalten und nicht als eine, die sich gehen lässt.«
Sie hatte noch immer ihren Humor.
»Gestern habe ich Dag Cederlund getroffen«, sagte Eva später, beim Tee.
»Ach, der arme Junge«, seufzte Gudrun, und Eva war nicht sicher, ob sich ihre Mutter, die allerdings geistig völlig auf der Höhe war, vergegenwärtigte, dass Dag inzwischen neununddreißig war.
»Weißt du eigentlich, warum er damals von zu Hause weggegangen ist?«, fragte Eva.
Die Antwort war die Erwartete. Wegen seines Vaters. Wegen der Schläge.
»Ich habe mir hinterher oft Vorwürfe gemacht, dass wir nichts unternommen haben, dein Vater und ich. Aber man kann doch seine Nachbarn nicht so einfach bei der Polizei anzeigen, oder?«
Eva erzählte ihr, was sie gestern von Dag erfahren hatte.
Ihre Mutter schnappte nach Luft.
» Marta war das? Also, darauf wär ich nie gekommen. Man denkt ja immer automatisch, dass es die Männer sind. Dein Vater und ich, wir haben manchmal gesagt: ›Diese Frau geht zum Lachen bestimmt in den Keller.‹ Aber sie tat uns auch leid.« Sie schüttelte den Kopf unter der Wollmütze. Nach der letzten Chemotherapie war das Haar nur noch dünn wie Kükenflaum nachgewachsen. »Es hat mir nie so recht gefallen, wenn du da drüben warst«, sagte sie.
»Warum nicht?«, fragte Eva.
Gudrun nippte an ihrem Hagebuttentee.
»Ich weiß nicht, es war die ganze Atmosphäre. Ich wollte einfach nicht, dass du in ein Haus gehst, in dem geprügelt wird. Hätte ich gewusst, dass Marta«
»Keine Sorge, mir hat sie nie was getan.«
»Das hätte sie auch nicht überlebt«, sagte Gudrun aus tiefster Überzeugung, und alle beide mussten lächeln. Dann fragte Eva: »Woran ist eigentlich ihre kleine Tochter damals gestorben?«
»O Gott, das weiß ich gar nicht mehr. Es ist so lange her. Ich bin auch gar nicht sicher, ob man es überhaupt je genau in Erfahrung gebracht hat.« Sie stutzte. »Du glaubst doch nicht, dass Marta?«
»Nein, nein«, sagte Eva. »Ich musste nur gerade daran denken.«
»Diese Familie kommt irgendwie nie zur Ruhe«, sagte Gudrun.
Zur Ruhe . Eva dachte an Marta, die wie leblos in ihrem Krankenhausbett lag.
»Sag mal, Mama«, begann sie, »… hat es je irgendwelche Anzeichen gegeben, dass Magnus Cederlund pädophile Neigungen hatte?«
Gudrun Röög sah ihre Tochter erschrocken an.
»Also wirklich, was du heute für Fragen stellst.« Eine Pause entstand. »Mit solchen Gerüchten muss man sehr vorsichtig sein«, sagte sie dann.
»Ja, sicher«, sagte Eva und wartete, bis ihre Mutter Tee getrunken und eine Hustenattacke überwunden hatte und schließlich weiterredete: »Damals, als das Seebeben war und der Tsunami über Thailand und Indonesien hereinbrach«
»Weihnachten 2004«, ergänzte Eva und fragte sich, worauf ihre Mutter hinauswollte.
»Ja, genau. Da gab es doch viele Hilfsaktionen im ganzen Land. Cederlund hat danach mit großem Tamtam ein Kinderheim für die Tsunami-Waisen eingerichtet. Stand in allen Zeitungen. Sogar die Königin war zur Eröffnung da.«
»Ja, stimmt. Er hat ein altes Schullandheim in der Nähe von Linköping gekauft und saniert und eine Stiftung gegründet, ein Teil der Gewinne seines Kinderbuchverlags sollte dorthin fließen«, sagte Eva, die damals selbst darüber geschrieben hatte. Auch in Cederlunds Nachruf hatte sie dieses Engagement erwähnt, nachdem Sigrun Jenssen ihr ihren eigenen Artikel dazu ausgedruckt hatte. Sie selbst hatte schon gar nicht mehr daran gedacht.
»Damals hat dein Vater eine seltsame Bemerkung gemacht«, fuhr Gudrun fort. »Den genauen Wortlaut weiß ich nicht mehr, aber sinngemäß sagte er, dass Magnus wohl etwas gutzumachen hätte. Ich fragte ihn, was er damit meinte, und er nannte ihnalso«
»Einen Kinderficker?« Eva wusste, dass ihre Mutter solche Wörter nur schwer über die Lippen brachte.
Sie nickte.
»Ja. Ich fragte ihn, wie er bloß dazu käme, so etwas Gemeines zu sagen, und er meinte, es
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