Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
war nicht sicher, ob die Fragen auch wirklich bei ihr angekommen waren. Auf ihren Wangen brannten jetzt ungleichmäßige rote Flecken, wie immer, wenn sie sich stark aufregte, und sie blinzelte gegen Tränen an.
»Und warum erfahren wir davon erst jetzt?«, fragte Leander, der sich wieder einigermaßen im Griff hatte.
»Weil wir selbst erst seit wenigen Stunden davon wissen«, antwortete Forsberg.
»Wieso jetzt – nach vier Jahren?«, beharrte Leander, aber er bekam keine Antwort mehr, denn die Türklingel schrillte. Forsberg sprang auf und sagte: »Das wird Frau Tjäder sein, die Agentin. Vielleicht kann sie uns weiterhelfen.«
Der Kapitän informierte die Fluggäste darüber, dass sich der Start noch ein klein wenig verzögerte, was ein genervtes Stöhnen und verhaltenes Murren hinter den aufgeschlagenen Zeitungen hervorrief. Lillemor seufzte nervös und strich Marie das wirre Haar glatt. In ihr Kissen gekuschelt, schaute das Mädchen auf die Rollbahn. Sie blinzelte. Gleich würden ihr die Augen zufallen. Während des ersten Fluges war sie noch aufgeregt und zappelig gewesen, aber der Aufenthalt auf dem Frankfurter Flughafen hatte sie ermüdet. Auch Lillemor war erschöpft, sie würde sich erst entspannen, wenn sie in der Luft waren. Sie warf einen Blick auf ihr Handy. Eine Mail von Catherine. Ein brasilianischer Verlag hatte die Lizenzen ihrer letzten drei Bücher gekauft. Gut so. Sie würde ihr antworten, wenn sie angekommen waren. Von einem neuen Handy. Sie schaltete es aus.
Kaum war die Stimme des Piloten verklungen, leuchteten die Anschnallzeichen auf und die Maschine setzte sich endlich in Bewegung. Lillemor sah nach, ob Marie den Gurt umgelegt hatte.
Es war leicht gewesen, damals, als das Leben im Verborgenen noch eine PR -Masche gewesen war, ein Katz-und-Maus-Spiel mit dem Geier. Nichts von existenzieller Bedeutung. Jetzt war es anders. Marie musste bald in die Schule. Spätestens dann konnten sie nicht mehr dauernd umziehen. Ein Neuanfang war ihre einzige Chance. Neuer Kontinent, neue Pässe, neue Sprache. Wie gut, dachte Lillemor, dass sie es seit Jahren gewohnt war, keine Spuren zu hinterlassen, unauffällig zu sein.
Weder Lillemor noch ihr Verleger hatten anfangs einkalkuliert, dass sich das Geheimnis um Eyja de Lyn zu einem Kultfaktor entwickeln würde. Aber schon bald war Lillemor dieser Umstand sehr gelegen gekommen. Ihr Stiefbruder vertrat die Meinung, Lillemor habe ihre Karriere größtenteils ihm zu verdanken, da er es gewesen war, der damals ihre Manuskripte an einen Verlag geschickt hatte. Er scheute sich auch nicht, ihre Dankbarkeit für den einstigen Geniestreich einzufordern. Und da er die Neigung hatte, über seine Verhältnisse zu leben, kam das recht häufig vor. In den ersten Jahren hatte ihm Lillemor regelmäßig Geld »geliehen«, aber irgendwann war sie nicht mehr bereit gewesen, sich länger von diesem Geier, wie sie ihn inzwischen nannte, ausnutzen zu lassen. Sie fand, dass sie nicht länger in seiner Schuld stand, denn sie hätte es gewiss auch ohne sein Dazutun geschafft, vielleicht nur ein paar Jahre später. Sie suchte sich professionelle Hilfe und fand in Catherine Tjäder eine loyale Person, die sich nicht nur um ihre Bücher und das ganze Drumherum kümmerte, sondern für Lillemor zu einem Bindeglied zwischen ihr und der Welt wurde, zu ihrem Schutzwall gegen den Geier und gegen sämtliche Geier dieses Planeten, für die Lillemor ab sofort nicht mehr erreichbar war.
Die Maschine war auf dem Rollfeld angekommen und beschleunigte, die Triebwerke heulten auf. Rasch lösten sich die Reifen vom Boden. Marie gähnte gegen den Druck auf den Ohren an. Lillemor nahm ihre Hand.
Die Welt war so klein geworden. Ein einziger Kameraklick von irgendeinem Wichtigtuer konnte sich in Windeseile über die ganze Welt verbreiten, und schon würden sie Gejagte sein.
Forsberg hatte noch einen Küchenstuhl ins Wohnzimmer geschleppt, auf dem sich die zierliche Catherine Tjäder nun mit gekreuzten Beinen niederließ. Neben ihr kam Forsberg sich vor wie ein zerknautschter Putzlappen. Außerdem war die Hose an manchen Stellen doch noch feucht, was hoffentlich nur ihm auffiel.
Leander Hansson und Catherine Tjäder schüttelten sich die Hände, und Hansson bemerkte in seiner trockenen Art, dass sie sich ja eigentlich heute Abend auf der Buchmesseparty hätten treffen sollen. Tinka Hansson sagte außer einem gehauchten »Hej« gar nichts mehr, was sicher nicht daran lag, dass Forsberg das Paar
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