Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
er sagte? Kein Wort über die Möglichkeit, mit der von Tinka geplanten Scharade auf ihre Spur zu kommen. Der Plan war vielleicht nicht perfekt, aber was hatten sie schon zu verlieren? Was hatten sie denn sonst für eine Chance?
Das alles hatte er Forsberg fragen wollen, aber der hatte sie ungewohnt autoritär angewiesen, hierzubleiben und abzuwarten. Zu Lucie würde er ihnen gleich noch etwas erklären. Dieser Satz hatte Leander verstummen lassen. Vor Hoffnung? Vor Angst? Etwas erklären . Stumm betete Leander, der gefühlte Atheist, dass dies nicht Forsbergs Art war, ihnen schonend beizubringen, dass das tote Mädchen im Wald doch Lucie war.
Er schielte hinüber zu Tinka. In diesem Kapuzenpulli und mit verschränkten Armen an die Decke starrend, sah sie aus wie eine Jugendliche, die etwas angestellt hatte und nun halb trotzig, halb verängstigt, der Konsequenzen harrte. Aber sie war nicht nur angespannt, sie war auch stinksauer, das erkannte Leander an der Art, wie sie ihre Lippen zu einem Strich zusammenpresste. Forsberg würde in Teufels Küche kommen, wenn er nicht gleich etwas hervorzauberte, was sie besänftigte. Tinka hatte alles getan, um die Situation zu kontrollieren, hatte sogar ihn, Leander, hintergangen, und das alles nur, damit ein Kommissar in Bademantel und Die-Hard -Frisur das alles wegfegte und sie beide wie Idioten dasitzen ließ? Das würde sie sich nicht ohne weiteres gefallen lassen. Wo war Forsberg jetzt überhaupt? Ach ja, im Keller. Seine Wäsche holen. Haus zusammengebrochen. Noch so ein Irrsinn. Kafkaesk, dachte Leander und überlegte, ob das Wort wirklich passte und ob er Tinka fragen sollte, aber wahrscheinlich würde sie sagen: Wenn du es nicht mal weißt, oder: Hast du jetzt keine anderen Sorgen? Mit Eva hätte er darüber diskutieren können, selbst in so einer Situation. Eva. Leander versuchte, nicht mehr an den Augenblick zu denken, als er sie in ihrem Wagen liegen gesehen und geglaubt hatte, Tinka hätte sie ermordet. Überhaupt TinkaWie hatte sie es nur geschafft, Eva, die größer war und einiges mehr wog als Tinka selbst, in ihrem bewusstlosen Zustand in den Wagen zu bekommen? Was wohl wieder einmal bewies, dass ein hoher Adrenalinspiegel ungeahnte Kräfte verlieh. Sicher könnte ihm Tinka dieses Phänomen ganz genau erklären, dachte er, und ein zärtliches Gefühl ergriff von ihm Besitz. Er sah zu ihr hinüber und lächelte. Sie spürte seinen Blick, dann lächelte auch sie und schloss die Augen, als wollte sie den Moment auf diese Weise festhalten, und Leander wusste, dass sie wusste, dass er ihr verziehen hatte. Er konnte gar nicht anders.
Sich räuspernd betrat Forsberg das Zimmer. Er war wieder normal gekleidet, wenn auch nicht besonders chic: abgewetzte braune Cordhose, zerknittertes Hemd, hellgrau oder weiß, mit etwas Dunklem gewaschen. Das Sofa war ausladend genug, theoretisch hätte halb Göteborg zwischen ihm und Tinka Platz nehmen können, doch der Kommissar trug einen Küchenstuhl herein und setzte sich ihnen gegenüber, wie es sich für seinesgleichen gehörte. Auch Tinka nahm Haltung an, mit durchgedrücktem Kreuz saß sie da, eine Kobra kurz vor dem Zubeißen. Leander gab seine lässige Haltung nun ebenfalls auf.
Forsberg entschuldigte sich dafür, dass er sie hatte warten lassen.
»Herr Hansson«, richtete er sich dann an Leander, »an dem Tag, als Ihre Tochter verschwand, hatten Sie die Autorin Eyja de Lyn bei sich im Sender zu Gast?«
»Ja«, antwortete Leander knapp. Vor seinem inneren Auge erschien die Autorin dieser überaus erfolgreichen Fantasy-Schinken: mittelgroß, schlank, dunkelblonder Pagenkopf. Er sah zwei mit schwarzem Kajal umrahmte Augen vor sich, an deren Farbe er sich nicht erinnerte, und er hätte allenfalls noch sagen können, dass es ein schmales Gesicht war, mehr aber nicht. Aber an ihre Stimme erinnerte er sich, die hatte er gemocht, klar und hell und nicht piepsig. Sie hatte eine ruhige, überlegte Art zu sprechen, sehr beherrscht, beinahe zu sehr. Sie hatte bescheiden gewirkt, frei von jeglichem Dünkel, als wäre ihr gar nicht bewusst, was für einen Erfolg sie hatte. Das hatte er sympathisch gefunden. Da gab es ganz andere!
Ihre Agentin hatte ihn einige Wochen vorher angerufen und durchblicken lassen, dass ihre Autorin zu einem Interview mit ihm zu bewegen wäre. Wie gnädig!, hatte Leander noch gedacht und war versucht gewesen, eine schnippische Antwort zu geben. Aber natürlich hatte er mitgespielt, denn Eyja de Lyn bekam
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