Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
ihr in dürren Worten schilderte, was geschehen war. Die Sache schien ihr sehr nahezugehen, und es kam kein Wort des Protests aus ihrem Mund, als er sie und den Schnösel mit dem Hinweis, es gäbe später eine offizielle Presseerklärung, aus seinem Büro hinauskomplimentierte. Er hatte jetzt wirklich keine Zeit für sie, denn als Nächstes mussten unzählige Befragungen durchgeführt werden.
Es ging auf Mitternacht zu, als Greger Forsberg sein Fahrrad im Hinterhof abstellte. Er hatte sich zwingen müssen, nach Hause zu fahren, doch im Moment blieb nicht viel mehr zu tun, als zu warten. Besser, er schlief ein paar Stunden.
Seit heute Mittag wurden alle Ausfallstraßen kontrolliert, ebenso die Fähren und Fernzüge, die Flughäfen und die Öresundbrücke. Die Hafenbehörden in Norwegen, Finnland, Deutschland und Dänemark waren informiert. Aufzeichnungen von Überwachungskameras der gesamten Innenstadt waren zusammengetragen worden und wurden von der rasch gebildeten »Soko Lucie« ausgewertet. Ebenso die Bilder der Kameras in den Straßenbahnen. Eine Suchmeldung mit einem Foto der kleinen Lucie Hansson war in den Abendnachrichten gesendet worden, und man hatte eine Telefonhotline eingerichtet für Hinweise aus der Bevölkerung.
Die Hanssons waren ein sympathisches Paar. Leander Hansson gehörte zu den Menschen, deren Attraktivität sich erst auf den zweiten Blick erschloss. Sein Charme entfaltete sich, wenn er sich bewegte und redete, und die Art, wie er seine Worte mit Gesten unterstrich, hatte beinahe etwas Südländisches. Seine Stimme war nicht besonders tief, aber auf eine seriöse Art wohlklingend, sodass man versucht war, alles, was er sagte, für wahr und endgültig zu halten. Dazu kam seine Angewohnheit, immer einen winzigen Tick zu leise zu reden, was einen zwang, sich ganz auf ihn zu konzentrieren. Er war sechsunddreißig und gerade erst Programmchef der Sparte Literatur bei Sverigesradio P2 geworden, dem Kultursender, den auch Forsberg hin und wieder hörte. Tinka Hansson war sechs Jahre jünger, eine hübsche Naturblonde, sehr schlank, beinahe schon dürr. Hellviolett schimmernde Halbmonde unter ihren Augen verrieten, dass sie momentan wohl nicht genug Schlaf bekam. Sie war Chemikerin bei dem Pharmakonzern Astra Zeneka, war momentan aber in Elternzeit.
Zusammen mit Malin Birgersson und einem Techniker war Forsberg nach Mölndal gefahren, wo die Hanssons in einem unauffälligen Reihenhaus wohnten. Die Inspektorin hatte sich angeboten, bei den Hanssons zu übernachten. Noch zog man in Betracht, dass Lucie Hansson entführt worden war, um Lösegeld zu verlangen, und für den Fall, dass die Erpresser anriefen, war eine Fangschaltung installiert worden. Zwar verfügten die Hanssons über kein besonders hohes Einkommen, aber der Vater von Tinka Hansson war Holger Nordin, Seniorchef eines Konzerns, der aus mehreren gesunden, mittelständischen Unternehmen bestand. Holger und Greta Nordin befanden sich noch auf einem Kreuzfahrtschiff in der Karibik und würden vom nächsten Hafen aus so schnell wie möglich nach Göteborg zurückkehren.
Bei der Gelegenheit hatte sich Forsberg im Haus der Hanssons umgesehen. Lucies Zimmer war liebevoll ausgestattet, mit einem Himmelbett, einer Handvoll Puppen und unzähligen Stofftieren. Die Kirschholzmöbel waren an die schrägen Wände des oberen Stockwerks angepasst, eine ausgeklügelte Schreinerarbeit, sicher nicht billig. Die Einrichtung im übrigen Haus war eine geschmackvolle Mischung aus modernem skandinavischem Design und einer Prise IKEA . Im Wohnzimmer wurden die Wände von hohen Bücherregalen eingenommen, und bis auf den antiken Esstisch und den darunter liegenden Perserteppich zeugte nichts vom Wohlstand der Eltern der Ehefrau. Offenbar wollte man unabhängig sein und vom eigenen Geld leben. Ein Mitgiftjäger schien Leander Hansson jedenfalls nicht zu sein.
Nein, es gab keinen Grund, den Hanssons zu misstrauen. Im Gegenteil: Greger Forsberg ahnte, wie sich die Eltern gerade fühlten. Dass es ihnen den Boden wegzog, dass sie durch die Hölle gingen. Besonders leid tat ihm die Mutter des Mädchens, die sich die Schuld an der Katastrophe gab.
Aber natürlich war dem Kommissar klar, dass es auch in kultivierten Milieus zu Gewalttaten kommen konnte.
»Ich habe früher nie gewusst, dass ich den Jähzorn meines Vaters geerbt habe, bis Annika da war«, hatte ihm seine Frau Benedikte einst gestanden. Und in den wenigen Jahren, in denen sie eine Familie gewesen waren,
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