Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
Außerdem: Was, wenn Annika zurückkäme? Vier Jahre wurden es im Oktober, und natürlich sagte ihm sein Verstand, dass Annika, sollte sie noch leben, inzwischen fast zwanzig und damit alt und klug genug wäre, um ihn im Präsidium zu finden. Dennoch war für ihn die Vorstellung unerträglich, sie könnte eines Tages zurückkommen und vor der leeren Wohnung stehen.
Zweiter Teil
Gierig ruht sein Blick auf ihr, während sie sich auszieht und in das rosa Kleid schlüpft. Nun sitzt sie auf dem Bett, inmitten einer Wolke aus glänzendem, raschelndem Stoff.
Er lächelt. »Wie schön du aussiehst! Wie eine Prinzessin.«
Ja, das ist es. Ein Prinzessinnenkleid! Etwas knistert, und er reicht ihr einen halb ausgepackten Schokoriegel, nach dem sie mit einer schnellen, katzenhaften Bewegung greift. Auf dem Kopfkissen liegt eine Puppe mit langen blonden Haaren. Auch die Puppe trägt ein rosa Kleid.
»Die ist für dich«, sagt er.
Süß und klebrig zerfließt die Schokolade in ihrem Mund. Die Matratze wird schief, als er sich zu ihr setzt. Dunkle, borstige Haare auf weißem Puddingfleisch. Wie komisch er riecht. Er rückt näher zu ihr, sie weicht aus, bis sie gegen den kalten Streifen der Tapete stößt. Seine Hand fühlt sich an wie ein Fisch, der ihr Bein hinaufwandert. Die Härchen an ihren Unterarmen stellen sich auf. Sie presst die Puppe an ihre Brust. Die Puppe hat runde blaue Augen mit richtigen Wimpern und ist wunderschön. Noch viel schöner als der Teddy von neulich.
»Du musst doch keine Angst haben«, sagt er.
Aber sie hat Angst, große Angst, sie durchdringt ihren Körper und füllt das ganze Zimmer, macht die Luft schwer und stickig. Seine Hand legt sich auf ihren Nacken, und sie senkt den Kopf, damit er sie streicheln kann, als wäre sie ein Pony.
Am späten Vormittag des 17. August 2011 kam eine Dame in Greger Forsbergs Büro und mit ihr ein Hauch französischer Lavendelseife. Die Frau trug ein dunkelblaues Kostüm von zeitloser Machart, dazu niedrige Pumps und eine schlichte schwarze Handtasche. Ihr Name war Marta Cederlund, sie wollte ihren Mann Magnus Cederlund als vermisst melden.
Forsberg bat sie, sich zu setzen, nahm ihre Personalien auf und stellte die üblichen Routinefragen, die sie präzise und unaufgeregt beantwortete. Marta Cederlund war klein und von schlanker Zerbrechlichkeit. Ihr Haar hatte sie walnussbraun gefärbt, der Kurzhaarschnitt betonte ihr mädchenhaft schmales Gesicht, das bis auf einen dezenten dunkelrosa Lippenstift nicht geschminkt war. Offensichtlich gehörte sie zu diesen Frauen, die auf sehr vorteilhafte Weise alterten, ihre zweiundsechzig Lebensjahre sah man ihr jedenfalls nicht an. Etwas jedoch irritierte den Kommissar: ihre Augen. Grau und kalt wie Beton blickten sie ihm über den Schreibtisch hinweg entgegen.
Menschen, die in Forsbergs Büro kamen, weil sie einen nahen Angehörigen vermissten, waren im Allgemeinen aufgeregt, verängstigt, verzweifelt. Nervenzusammenbrüche und hysterische Anfälle waren nicht selten, sogar Wutausbrüche kamen vor. Natürlich gab es auch Leute, die sich zu beherrschen wussten, aber immer spürte man ihre Besorgnis. Eine Frau, die ihren Ehemann als vermisst meldete und dabei so teilnahmslos wirkte, als wolle sie ein Auto abmelden, war Forsberg bis jetzt noch nicht untergekommen.
Verstohlen warf er einen Blick zur Seite auf seine neue, junge Kollegin. Sie starrte ungerührt auf den Bildschirm. Im Profil sah sie aus wie ein Vogel. Das schwarze Haar fiel ihr tief ins Gesicht, es glänzte wie das Gefieder eines Kolkraben. Darunter stach die Nase hervor wie ein Geierschnabel. Den linken Nasenflügel zierte ein kleiner Brillant, der aufblitzte, wenn ein Sonnenstrahl durch die Jalousien drang, und der Mund kaute Kaugummi, während die langen Finger in atemberaubender Geschwindigkeit über die Tastatur flogen. Forsberg widmete seine Aufmerksamkeit wieder der Besucherin.
Der Vermisste war vierundsechzig Jahre alt und hatte das Haus gestern Vormittag mit seinem Wagen verlassen. Seine Frau wusste nicht genau, wohin er wollte. Geschäfte.
Marta und Magnus Cederlund wohnten in Långedrag. Es war schon zwei, drei Jahre her, dass Forsberg zum letzten Mal dort gewesen war. Er hatte eine Frau, der er imponieren wollte, zum Fischessen ins Långedrags värdshus eingeladen. Ob der Abend für ihn zufriedenstellend verlaufen war, wusste er nicht mehr. Demnach also eher nicht. Auch an die Frau erinnerte er sich nur noch dunkel. Magnus Cederlund … Den Namen
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