Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
nicht gesagt!« Etwas leiser fuhr sie fort: »Ich könnte mir vorstellen, dass dem mal die Hand ausrutscht. Kinder können einen ja ganz schön nerven...« Sie erhob sich und klaubte den Jungen vom Fußboden auf, der sich anschickte, den Mülleimer zu untersuchen. Sie setzte ihn auf ihr Knie, sodass er Selma anschaute. Ein langer Spuckefaden lief aus seinem Mund. Selma hatte noch nie verstanden, was Frauen an Babys fanden.
»Hat Valeria mal so etwas angedeutet?«
Kopfschütteln.
»Hatten Sie den Eindruck, dass es ihr nicht gut ging? Dass sie geschlagen wurde oder vernachlässigt...?«
»Unsinn«, rief Janne Siska erbost. »Frau Bobrow tut ihr Bestes. Sie ist eben manchmal überfordert, aber sie ist ganz bestimmt keine schlechte Mutter.«
Bestimmt keine schlechte Mutter. Der Satz hallte in Selma nach, als sie, den Bären unter dem Arm, über den großen Parkplatz ging, der sich hinter Valerias Wohnhaus befand. Sie überquerte die mehrspurige Sommarvädersgatan, die durch Biskopsgården führte. Am Frisväderstorget, einem dieser künstlich geschaffenen Plätze, an dem sich kein Mensch wohlfühlte, klebten noch die Plakate mit Valerias Foto, die meisten zerrissen oder beschmiert. Vor der Straßenbahnhaltestelle hingen ein paar Typen auf ihren Mopeds rum.
»Hey, Schlampe, komm doch mal her!«
»Die hat ’nen Teddy, wie süß!«
Selma ballte die Fäuste. Sie ging schneller, aufrecht, den Blick stur nach vorn gerichtet, und es gelang ihr, die alten Gespenster zu verscheuchen. Nie wieder würde sie ein Opfer sein, das hatte sie sich geschworen. Außerdem trug sie jetzt ihre Dienstwaffe bei sich, darauf hatte Forsberg bestanden. Was ihn wohl dazu trieb, zur Beerdigung dieses reichen Typen zu gehen? Der Mann war ihr ein Rätsel. Sie hatte sich in den letzten zwei Wochen an seine rüde Art gewöhnt, mochte sie sogar, und musste oft der Versuchung widerstehen, ihn zu provozieren. Immer gelang es nicht.
Die Mopedgang hatte offenbar Besseres zu tun, als sie zu belästigen, also konnte Selma ihren Weg entlang der Flygvädersgatan ungehindert fortsetzen. Es war wenig los auf den Straßen. Die Kinder waren vermutlich noch in der Schule. Valeria wäre jetzt in die zweite Klasse gekommen. Selma wurde langsamer und bog in die Godvädersgatan ein. Knapp zehn Minuten hatte sie nur gebraucht. Nicht einmal ein Kilometer, schätzte sie.
Die Godvädersgatan verzweigte sich in mehrere Anliegerstraßen. Der Wohnblock, in dem Valerias Freundin Bahar Haaleh wohnte, war eines von mehreren Rechtecken aus rotem Klinker, aus denen die Siedlung bestand. Alles nüchtern und zweckmäßig durchgeplant, aber es wirkte dennoch freundlicher als der Koloss in der Önskevädersgatan. Vielleicht, weil die Gebäude hier nicht so hoch waren, die meisten hatten nur drei Stockwerke, oder weil vor den Häusern eine zwar phantasielose, aber doch immerhin grüne Fläche zwischen Gebäude und Parkplatz lag. Nachdenklich blieb Selma am Zaun eines Bolzplatzes stehen. Von hier aus waren es nur wenige hundert Meter bis Swartemossen. See, Wald, Sumpf. Bestimmt waren die Mädchen auch manchmal dort gewesen.
Die Familie Haaleh war vom 4. Juli bis zum 14. August in Teheran gewesen. Erst einen Tag vor Valerias Verschwinden waren sie zurückgekommen. Wie also hätte Bahar Valeria den Bären schenken können, wenn es stimmte, was Frau Bobrow sagte, dass das Plüschtier zwei Wochen vor Valerias Verschwinden aufgetaucht war? Wusste Valeria, wann ihre Freundin Bahar aus dem Iran zurückkommen würde? Konnten Kinder mit sechs, sieben Jahren mit einem Datum etwas anfangen? Frau Bobrow besaß keinen Festnetzanschluss, und Valeria hatte kein Handy. Sie konnte nicht einfach bei Bahar anrufen, um herauszufinden, ob sie schon wieder zurück war. Was also tun? Valeria war wohl nichts anderes übrig geblieben, als zu Bahars Haus zu gehen, um nachzusehen. Vielleicht war sie jeden Tag dorthin gegangen. Voller Hoffnung und Erwartung hin und enttäuscht zurück. Vielleicht hatte sie auf dem Rückweg ein wenig getrödelt, ihr war ja langweilig, und sie hatte sonst niemanden. Keine anderen Freunde hatte im Protokoll gestanden. Wer hatte das gesagt, ihre Mutter? Die Lehrerin, fiel Selma ein. Ja, es gab solche Kinder, das wusste Selma nur zu gut. Ewige Außenseiter. Weil sie ein bisschen anders aussahen, weil sie anders redeten, ein Gebrechen hatten oder komische Eltern. Und sehr oft gab es überhaupt keinen ersichtlichen Grund dafür.
»Nett, lieb und ruhig«, war Valeria laut Janne
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