Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
Siska gewesen. Die Lehrerin hatte sich ähnlich geäußert.
Kein Mädchen, das einem größeren Jungen das Nasenbein brach, weil er sie fortwährend Spinne oder Giraffe nannte.
Sie sah Valeria durch die Straßen dieser tristen Vorstadt gehen. Jeden Tag derselbe Weg, an unzähligen Blocks vorbei, an Hunderten von Fenstern. Hinter einem davon hatte vielleicht einer gestanden, dem das einsame Mädchen aufgefallen war. Einer, der sie beachtet hatte. Der sie beobachtet hatte, Woche für Woche, Tag für Tag. Gab es eine leichtere Beute?
Marta Cederlund ruhte auf ihrer Couchlandschaft. Die Möpse zu ihren Füßen bildeten ein wärmendes Fellkissen. Endlich! Sie schämte sich ein wenig, dass sie so fühlte, aber als heute Mittag ihr Sohn Dag und seine Frau in ihren BMW gestiegen und weggefahren waren, hatte sie genau das gedacht: Endlich! Zwei Wochen waren die beiden geblieben. Sie und ihr Sohn hatten viel über Geld gesprochen, über Firmenanteile, Fonds, Aktien, sie hatten mit Bankdirektoren verhandelt und Notartermine wahrgenommen. Marta war die Alleinerbin, hatte aber angekündigt, ihrem Sohn ab sofort den größten Batzen des Ererbten zukommen zu lassen. Was sollte sie auch damit anfangen?
Dag hatte darauf bestanden, dass sie an den Verhandlungen teilnahm. Sie hatte seine Bitte erfüllt, das Reden allerdings ihm überlassen, und so hatten sie am Ende ein paar recht befriedigende Abschlüsse erlangt. Nur die Zeitung waren sie nicht losgeworden, jedenfalls nicht zu dem Preis, den Dag sich vorgestellt hatte. Aber warum sollte er sie nicht erst einmal behalten?
Seit über zwanzig Jahren hatte Marta nicht mehr so viel Zeit mit ihrem Sohn verbracht. Am Ende war er nicht mehr ganz der Fremde gewesen, der zur Beerdigung seines Vaters erschienen war, aber es blieb noch immer eine unüberbrückbare Distanz. Hier, im Haus, war ihre Schwiegertochter Mette, ein farbloses, blutleeres Wesen, ständig um Dag oder Marta herumgeschwänzelt, offenbar unfähig, sich selbst zu beschäftigen. Aber Marta war sicher, dass sie ihrem Sohn auch ohne Mette nicht viel näher gekommen wäre. Vieles, was geschehen war, war nicht wiedergutzumachen, durch kein Geld der Welt.
Aber jetzt war die Zeit zu handeln. Kaum war Dag abgefahren, hatte sie Eva Röög in der Redaktion angerufen. Die vorlaute Nachbarsgöre von einst hatte sich mit den Jahren zu einer recht passablen Journalistin gemausert. Der Nachruf auf Magnus war einfühlsam, positiv, aber nicht anbiedernd verfasst worden. Und noch wichtiger: Sie schien Marta eine vertrauenswürdige Person zu sein, deren Rat und Fähigkeiten sie jetzt gebrauchen konnte.
Beim Dagbladet hatte Marta zunächst nur eine Kollegin von Eva erreicht. Die sagte, sie würde Eva eine Nachricht hinterlassen, und tatsächlich rief Eva eine Stunde später zurück. Sie verabredeten sich für den nächsten Abend, denn jetzt fühlte sich Marta zu erschöpft, um über diese fürchterlichen Dinge zu sprechen. Die Wirren um den skandalösen Tod ihres Mannes, die Verhandlungen, die Beerdigung, Dag und Mette im Haus... das alles hatte sie doch ziemlich mitgenommen.
Und jetzt war sie also allein. Ganz allein. Kein Magnus. Nie mehr. Der Gedanke war noch ungewohnt, aber es fühlte sich gar nicht einmal schlecht an, und nun stellte sie auch noch zu ihrer Überraschung fest, dass sie die angebrochene Flasche Wein, die vom gestrigen Abendessen übrig geblieben war, schon fast ausgetrunken hatte. Sie würde doch nicht zur Säuferin werden? Noch immer über sich selbst staunend, ließ sie sich auf dem Sofa nieder und schloss die Augen. Sie war müde, so schrecklich müde...
Sie fuhr in die Höhe, als die Hunde aufsprangen und zur Tür rasten. Hatte es geklingelt? Sie hatte nichts gehört. War sie schon so betrunken? Die Möpse bellten oder gaben vielmehr jene heiseren Laute von sich, die mit viel Phantasie als Gebell durchgingen. Draußen war es bereits dunkel. Marta musste längere Zeit geschlafen haben.
Mit schweren Gliedern stand sie auf. Jetzt, wo Dag abgereist war, stand zu befürchten, dass die Nachbarschaft sich verpflichtet fühlte, nach ihr zu sehen, ihr womöglich Gesellschaft zu leisten. Zu reden. Bloß das nicht! Sie scheuchte die Hunde beiseite und öffnete die Tür. Es war niemand da. Was hatten die Viecher nur? Wenn jemand hier wäre, wäre ja auch die Außenbeleuchtung angesprungen. Sie machte einen Schritt nach draußen, um den Bewegungsmelder in Gang zu setzen. Etwas knirschte unter den Sohlen ihrer Hauspantoffeln.
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