Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
Glas. Die Lampe muss kaputt sein. Das war ihr Gedanke, als sie schräg hinter sich eine Bewegung wahrnahm und etwas auf ihrem Kopf zerbarst.
»Gibt es etwas Neues von Lucie?«
Leander Hansson zuckte zusammen und antwortete im selben beiläufigen Tonfall, in dem Greta ihrerseits die Frage gestellt hatte: »Ach ja, Lucie... sie sitzt drüben, in ihrem neuen Kinderzimmer – das hätten wir doch beinahe vergessen euch zu sagen.«
Das darauf folgende Vakuum nutzte Leander, um aufzustehen und in die Küche zu gehen. Mit übertriebener Sorgfalt räumte er das Kaffeegeschirr in die Maschine und spülte die Sektgläser, mit denen sie auf Tinkas vierunddreißigsten Geburtstag angestoßen hatten.
Du benimmst dich kindisch, erkannte er. Aber er fühlte sich im Recht. Den ganzen Nachmittag lang hatten es seine Schwiegereltern so krampfhaft vermieden, von Lucie zu sprechen, dass es schon aberwitzig gewesen war. Stattdessen hatte Greta pausenlos von ihrem noch verbliebenen Enkel William, dem dreijährigen Sohn von Tinkas Bruder Gunnar, geschwärmt. Allerdings, zugegeben, erst nachdem Tinka anstandshalber nach ihrem Neffen gefragt und damit die Schleuse geöffnet hatte.
Dabei hatte Tinka das wahrscheinlich nur getan, um von dem leidigen Thema abzulenken, das bis dahin Gegenstand der Unterhaltung gewesen war: die Pleite des Nordin Konzerns , wie die Presse es nannte. Gunnar könne nichts dafür, die Wirtschaftskrise innerhalb der EU trage die Hauptschuld an der Misere, auf diese Lesart hatten sich die Nordins eingeschossen. Und dass es beileibe nicht ganz so schlimm wäre, wie die Zeitungen es darstellten. Trotzdem wollte Leander jetzt lieber nicht in der Haut seines Schwagers stecken. Sechs Uhr. Sie müssten eigentlich bald aufbrechen. Tinkas Vater wollte doch meistens lieber bei Helligkeit den Heimweg antreten. Obwohl er nachts schlecht sehen konnte, weigerte sich Holger Nordin hartnäckig, mit dem Taxi zu fahren, geschweige denn die Straßenbahn zu nehmen oder gar seine Frau ans Steuer des Mercedes zu lassen.
Leander mochte seinen Schwiegervater. Holger war achtzig, seit fünf Jahren im Ruhestand und begann nun, Versäumtes nachzuholen: Er ging Angeln, nahm gelegentlich an einem Altherren-Segeltörn teil, und seit kurzem schien er sich sogar für Literatur zu begeistern. »Wenn ich schon einen Intellektuellen zum Schwiegersohn habe, muss ich das ausnutzen«, pflegte er zu sagen, wobei Leander bei dem Wort Intellektuelle immer eine Spur Ironie herauszuhören glaubte. Dennoch hatten Leander und er über den Umweg der Literatur ganz allmählich eine gemeinsame Basis gefunden. Leander versorgte seinen Schwiegervater mit Nachschub aus seiner Bibliothek und dem Stapel von Neuerscheinungen der Verlage, der sich in seinem Büro bei Sverigesradio auftürmte. Aus den Gesprächen über das Gelesene entspannen sich Diskussionen über Philosophie, Politik und Weltgeschehen, wobei sie zu ihrer beider Überraschung merkten, dass ihre Weltsicht gar nicht so konträr war, wie man vermuten könnte, wenn ein ehemaliger Wirtschaftsboss und ein Kulturredakteur aufeinandertrafen.
Mit Tinkas Mutter dagegen wurde Leander nicht warm. Greta war mit über fünfzig noch immer eine schöne, elegante Frau, die sich jedoch mit zunehmendem Alter divenhafter benahm. Sie schien immer dünner zu werden und färbte sich das Haar neuerdings schimmelweiß. Sie war Holger Nordins zweite Frau. Sie hatten kurz nach der Geburt von Tinkas Bruder Gunnar geheiratet und zwei Jahre später noch eine Tochter bekommen: Tinka, die angeblich »ein Missgeschick« war. Greta sprach es hin und wieder mit genau diesen Worten aus, so als wäre es ein guter Partywitz. Dass sie Tinka damit verletzen könnte, war ihr offenbar noch nie in den Sinn gekommen. Neulich hatte Leander sie gefragt: »Und was war dann Gunnar? Die Honigfalle?«
Seither machten Leander und seine Schwiegermutter keinen Hehl mehr aus ihrer gegenseitigen Abneigung, was Tinka bedrückte, Leander aber deutlich entspannender fand als das Heucheln von Sympathie. Und wenn er sich nicht sehr täuschte, ging es Greta ähnlich.
Man konnte von Glück sagen, dachte Leander oft, dass Tinka Charakter und Intellekt offenbar von ihrem Vater geerbt hatte und nur das gute Aussehen von ihrer Mutter.
Auf dem Kuchenblech lagen noch drei Zimtschnecken, und der Anblick versetzte Leander einen Stich. Zimtschnecken hatte Lucie immer gern gemocht. Er packte sie in eine Plastikdose und säuberte das Blech. Danach gab es hier drin
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