Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
fast das Genick gebrochen. Leider nur fast. Er hatte wohl Geld auf der Seite, von dem ich nichts wusste. Ich habe mich viel zu wenig um all das gekümmert. Den Fehler dürfen Sie nie begehen, Mädchen! Sind Sie verheiratet?«
»Nein.«
»Das ist gut. Fall Sie sich doch einmal zu dieser Dummheit hinreißen lassen, dann kümmern Sie sich immer darum, wo das Geld ist.«
»Mach ich«, versprach Selma. »Aber ich wollte fragen«
»Ja, ja, wir sprachen von meinem Exmann, ich weiß schon, ich bin ja nicht senil. Er hat dann Kredit aufgenommen und angefangen, Wälder aufzukaufen. Oben im Norden und in Finnland und sogar in Sibirien. Das war um die Zeit, als IKEA überall groß rauskam. Mit denen kam er dicke ins Geschäft. Möbel zum Selbstbauen! Dazu brauchte man jede Menge billiges Fichten- und Kiefernholz. Aber er hat auch in anderen Bereichen investiert. Transport und Maschinenbau. Wollte sich wohl nicht von der Holzwirtschaft und nur einem Großkunden abhängig machen. Ja, das war schlau von ihm. Aber das war alles lange nach unserer Scheidung. Ich hab’s nur in der Zeitung verfolgt. Und jetzt soll er ja pleite sein, oder vielmehr sein Sohn. Geschieht ihm recht – dem Alten. Besser spät als nie!«
Ein grellgrüner Hustenanfall unterbrach ihren Redeschwall. Sie zog ein Stofftaschentuch aus dem Ärmel ihrer Strickjacke und ließ irgendetwas aus ihrem Mund in das Taschentuch gleiten. Ihr Lippenstift war jetzt verschmiert. Selma sah ihre Chance gekommen: »Die Frau, von der Sie am Sonntag gesprochen haben, die Sie ein Flittchen nannten – meinten Sie damit Greta?«
»Greta? Ja, die ist auch ein Flittchen. Dieselbe Kategorie: jung, blond, blöd. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und Männer ganz besonders.«
»Dieselbe Kategorie wie wer?«, fragte Selma.
»Wie diese Büroschlampe aus Öckerö. Camilla hieß sie, jetzt fällt es mir wieder ein. Er dachte wohl, ich wüsste das nicht. Aber nachdem ich hörte, dass die ihr Blag in die Welt gesetzt hatte, bin ich zum Anwalt.« Wieder ein trockenes Lachhusten. »Was ist eigentlich aus diesem Bastard geworden?«
Lillemor freute sich auf die Schule. Ihr Großvater hatte gesagt, dort würde sie Lesen lernen, Bücher, in denen Geschichten standen. Solche Geschichten wie die, die er erzählte, wenn sie beide aufs Meer hinausschauten. Das wollte Lillemor gern, Geschichten lesen. Sie konnte schon ein wenig stricken, aber das gefiel ihr nicht so gut. Aber sie musste es tun, sonst wurde Ulrika böse. Sie wurde auch böse, wenn sie entdeckte, dass Lillemors Bettlaken und der Schlafanzug über Nacht nass geworden waren. Das kam leider sehr oft vor. Manchmal wusste Lillemor aber auch gar nicht, warum ihre Großmutter böse wurde. Dann war es das Beste, den Kopf einzuziehen, sich mucksmäuschenstill zu verhalten und zu versuchen, alles richtig zu machen: den Tisch schön decken, alles aufessen, nicht kleckern, nicht laut sein und keinen Schmutz ins Haus tragen. Sonst setzte es was.
Allmählich begriff Lillemor, was eine Mutter war und dass auch sie eine hatte. Camilla. Wenn sie kam, kam sie mit dem Schiff, und ihr Großvater und Lillemor holten sie in Großvaters Lieferwagen ab. Sie war so schön. Sie hatte blaue Farbe auf den Lidern und rote auf den Lippen und sie brachte ihr immer Süßigkeiten mit und manchmal auch Spielzeug. Ein Tier aus Plastik oder Stoff und einmal eine Barbiepuppe. Am nächsten Tag, meistens nach dem Essen, stritten dann ihre Großmutter und ihre Mutter, und danach fuhr Camilla wieder weg. Lillemor verstand nicht, warum sie stritten, aber es fiel auch ihr Name, und Lillemor beschloss dann jedes Mal, in Zukunft noch artiger zu sein, damit es nicht so viel Streit gab und Camilla vielleicht ein bisschen länger dableiben konnte.
Manchmal durfte sie mit, wenn ihr Großvater zu einer Arbeit fuhr. Sie stand draußen herum und sah zu, wie ihr Großvater hämmerte, sägte, hobelte und steifgliedrig auf Dächern herumkletterte. Oder sie saß in fremden Küchen bei fremden Menschen und deren Kindern. Die Kinder waren ihr unheimlich. Sie waren laut und schmutzig und gaben ihren Müttern freche Antworten. Sie lachten über sie und spielten Spiele, die Lillemor nicht kannte. Einmal verbrachte sie einen halben Tag gefesselt an einem Baumstamm, bis sie die fremde Frau befreite und ihre Kinder ausschimpfte. Lillemor hatte gedacht, das gehöre zum Spiel. In den fremden Häusern gab es jedoch interessante, leckere Dinge. Kakao, Waffeln, Schokoriegel, Eis und Limonade.
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