Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
wenn sie dadurch ihn, Leander, verlöre. Und sie würde ihn verlieren, wenn er einen Menschen tötete, so oder so. »Selbst wenn sie dich nie kriegen sollten – du bist nicht der Typ, der so was wegsteckt. Du würdest daran verzweifeln.«
Leander wusste, dass sie recht hatte. Das machte ihn wütend. Das und die Tatsache, dass sie ihn durchschaute. »Ich weiß, du hältst mich für einen Schöngeist mit einem nutzlosen Beruf, mit dem man angeregt plaudern kann, der aber nichts taugt, wenn’s ernst wird. Das ist es doch, was ihr denkt, du und dein Vater.«
»Nicht schon wieder diese Leier!«, zischte Tinka. Ihre Wangen waren feuerrot. »Ist es mal wieder dein Minderwertigkeitskomplex, willst du deshalb nicht, dass wir diesem Scheißkerl Geld anbieten?«
»Ach, stimmt ja, dein Weltbild: Jeder ist käuflich, sorry, ich vergaß. Aber man kann nicht alle Probleme mit Geld lösen, Tinka. Tut mir leid, wenn du das bisher im Leben noch nicht gelernt hast.«
»Danke für die Belehrung! Es geht hier aber nicht um alle Probleme, sondern um ein bestimmtes. Und das lässt sich vielleicht schon mit Geld lösen. Es muss nur genug sein.«
»Zufällig ist deine Familie aber gerade nicht flüssig, was man so hört!«
»Das tut dir gut, was? Aber du solltest nicht alles glauben, was in den Zeitungen steht.«
»Ach so, klar! Euresgleichen ist ja nie ganz pleite. Nur die, die für euch gearbeitet haben und ihren Job verlieren«
Aber Tinka ließ sich jetzt nicht mehr provozieren, sondern sagte ernst: »Wir müssen es versuchen.«
Leander überlegte.
»Und wenn wir doch zur Polizei gehen? Dieser Kommissar Forsberg macht doch einen ganz vernünftigen Eindruck, finde ich.«
Den hatte er allerdings schon über ein Jahr nicht gesehen. Nur dieses Mädchen in Schwarz. Selma Valkonen. Leander erinnerte sich an den Namen und an diese kohlschwarzen Augen und das schwarzglänzende Haar. Eine ungewöhnliche Polizistin. Interessante Stimme.
»Und was hat Forsberg bis jetzt erreicht?«, sagte Tinka. »Außer, dass er uns beide verdächtigt hat?«
Während Leander inzwischen einsah, dass es zu den Pflichten eines Polizisten gehörte, die Eltern eines verschwundenen Kindes als potenzielle Verdächtige zu betrachten, schien Tinka deswegen immer noch beleidigt zu sein. Der Nordin-Dünkel
»Wenn man wenigstens wüsste, um wen es geht«, sagte er.
»Um wen es geht?«, wiederholte Tinka.
»Wen ich töten soll.«
»Das macht doch keinen Unterschied«, entgegnete Tinka. »Wir haben nicht das Recht, jemanden zu töten, nur um unser eigenes kleines Glück zu retten!«
Kleines Glück.
Am Vorabend von Lucies erstem Geburtstag, kurz nachdem sie in das Reihenhäuschen in Mölndal gezogen waren, hatte Holger Nordin am Fenster zur Terrasse gestanden und angesichts der wohlgeformten Blumenbeete, der Natursteinmäuerchen und der Lichterketten in den Büschen die Beherrschung verloren und zu Leander gesagt: »Es ist mir egal, ob du bis an dein Lebensende in deiner kleinen, verklemmten Mittelstandswelt leben willst, aber meine Tochter und meine Enkelin haben etwas anderes verdient, als das hier.«
Später dann, als sie allein waren, hatten sie sich gestritten. Zum ersten Mal stellte sich Tinka auf die Seite ihres Vaters. Sie warf Leander vor, dass sein Stolz auf ihre Kosten ginge, und er nannte sie illoyal und ein verwöhntes höheres Töchterchen. Türen knallend verließ er das Haus und fuhr, einem ersten Impuls gehorchend, in die Stadt, mit der Absicht, ganz nach Männerart, in eine Kneipe zu gehen und sich ordentlich zu betrinken. Dieser Plan verlor jedoch an Reiz, je mehr sich die Straßenbahn der Innenstadt näherte. Er erinnerte sich, dass er an diesem Abend eigentlich zur Eröffnung einer Kunstgalerie eingeladen war. Er hatte nicht vorgehabt, dorthin zu gehen, wegen des Besuchs seiner Schwiegereltern und weil er zwar Kunst mochte, aber nicht unbedingt die Künstler, deren Eitelkeit und Selbstsucht ihn von Jahr zu Jahr mehr anwiderte. Maler und Bildhauer gingen ihm erfahrungsgemäß ganz besonders auf die Nerven, vielleicht, weil er von deren Metier zu wenig verstand, um sie mit wenigen Sätzen auf Normalmaß zurechtzustutzen, wie er es bisweilen bei Schriftstellern praktizierte. Aber die Ausstellung erschien ihm immer noch verlockender, als sich allein in einer Kneipe herumzudrücken.
Natürlich war es furchtbar: In einem alten Fabrikgebäude im Linnéviertel klumpte die aufstrebende Kulturschickeria Göteborgs zusammen wie frisch geborene
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