Töten ist ganz einfach: Thriller (German Edition)
Callas in einer alten Aufnahme der Oper Madame Butterfly, die aus einem der Salons auf der gegenüberliegenden Seite der Galerie herüberwehte. Dazwischen waren manchmal abgehackte, atonale Klänge zu hören und ihm wurde schmerzlich bewusst, dass seine Schwester Ivanka nie wieder einen Ton treffen würde. Die Szenerie erinnerte an ein verwunschenes Schloss, wären da nicht unten zwischen den Arkaden zwei vierschrötige Männer in dunklen Anzügen gestanden, die mit angespanntem Gesichtsausdruck jede Bewegung von Igor Drakovic verfolgten.
Für sein Alter war Igor Drakovic ausgesprochen fit und energiegeladen. Das schüttere graue Haar trug er kurz geschnitten, den beginnenden Bauchansatz verdeckte ein gut geschnittener taubengrauer Leinenanzug. Trotz seiner durchschnittlichen Größe wirkte er imposant. Interessant an ihm waren die schräg nach oben wachsenden Augenbrauen, die ihm einen diabolischen Ausdruck verliehen, den er allerdings mit einem breiten, gewinnenden Lächeln gerne kaschierte.
Sportlich tänzelte er die breite Marmortreppe hinunter, nickte den beiden Männern zu und verschwand im prunkvollen Ballsaal seines Palais, dessen gigantische Fenster an der Rückseite einen atemberaubenden Blick auf die Bucht von Palma freigaben.
Er trat an eines der Fenster, sah hinaus auf das im hellen Mondlicht glitzernde Meer, die Yachten und Segelboote, die mächtigen Kreuzfahrtschiffe. Rechts im Hintergrund war noch die beleuchtete Kathedrale von Palma zu erahnen, aber Igor Drakovic war nicht wegen der Aussicht in diesen Saal gekommen, er brauchte Platz, um ungestört nachzudenken. Dumpf hallten seine Schritte auf dem Marmor, als er den riesigen Raum durchschritt. Dabei konnte er seine Gedanken formatieren und in eine exakte, militärische Ordnung bringen.
Der Mord an seinem Neffen Milan war gegen Royal International und daher gegen ihn gerichtet, daran gab es keinen Zweifel. Aber vielleicht war es doch bloß das Werk eines Verrückten? Doch daran glaubte nicht einmal die Polizei in Prag. Igor Drakovic war intelligent genug, um zu wissen: Das Motiv musste in seiner Vergangenheit liegen.
9. Linz: Der vierte Tag
Die Zentrale von Royal International war nur sehr schwer zu finden. Anna Lange fuhr mit ihrem schwarzen Mini über rissige Asphaltstraßen, die plötzlich im Niemandsland zwischen Schrottgebirgen endeten und war am Rande eines Nervenzusammenbruchs, da sie unbedingt pünktlich sein wollte. Während sie zum wiederholten Male den Mini wendete und zwischen trostlosen Müllhalden den richtigen Weg suchte, fragte sie Richard Marx, den sie als kreative Verstärkung mitgenommen hatte, nach seinen Recherchen für Tony Braun.
„Ich bin ihm einen Gefallen schuldig, das ist alles“, gab er einsilbig Auskunft und blies den Rauch seiner Zigarette durch das einen Spalt breit geöffnete Seitenfenster.
„Warum hast du mir nichts davon erzählt? Du arbeitest hinter meinem Rücken für diesen Polizisten!“, empörte sich Anna und kniff die Augen zusammen, um irgendeinen Anhaltspunkt in der Einöde zu finden.
„Warum regst du dich so auf? Jetzt weißt du wenigstens, was dein Vater so treibt“, rechtfertigte sich Richard.
„Was weißt du schon über meinen Vater!“, fauchte sie, ließ den Motor aufheulen und dachte an das gestrige Gespräch mit Tony Braun.
Der Mann war besessen von diesem Bogdan Drakovic. Beschwörend hatte er auf sie eingeredet, ihr ständig eingeschärft, die Augen offen zu halten und ihm über jede Kleinigkeit aus der Royal-Zentrale zu berichten. Als er ganz nebenbei einwarf, dass Anna im Zuge des Briefings geheime Informationen aus Bogdan Drakovic herauslocken könnte, hatte sie empört abgewinkt. Tony Braun schien nicht zu begreifen, dass der Job für Royal International für sie wichtig war und es um ihre Existenz ging. Für ihn zählten nur Informationen und Indizien, damit er einen Verdächtigen an seinen Verhörtisch bekam und in die Mangel nehmen konnte. Denn bei seinen Verhörmethoden war er sicher nicht zimperlich, das konnte sie sich schon denken.
Jedenfalls hatte sie ihm zu verstehen gegeben, dass sie keine Polizistin war, dass sie eine Werbeagentur führte und kein Detektivbüro. Tony Braun solle sich gefälligst um seinen eigenen Kram kümmern, der mögliche Job sicherte das finanzielle Überleben der Agentur. Deshalb lasse ich mich auch auf keine Spielchen ein, dachte sie. Trotzdem war sie nicht wütend auf ihn, denn er hatte ihr wieder die Augen über ihren Vater geöffnet und
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