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Töwerland brennt

Töwerland brennt

Titel: Töwerland brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Zweyer
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Stubenältesten unterstützten, Knut sei gestürzt und habe sich dabei
das Gesicht aufgeschlagen, nicht weiter verfolgt. Als Konsequenz bekam er erneut
Schläge. Nach dieser Erfahrung wusste Knut: Ab sofort war er auf sich allein gestellt.
Und er beschloss, sich entsprechend zu verhalten. Fortan ging Knut jeder
Auseinandersetzung aus dem Weg. Noch war er zu klein, um sich zu wehren oder
gar selbst auszuteilen. Seine Zeit würde kommen. Dann hätten die Demütigungen
ein Ende und er wäre an der Reihe.
    In den folgenden zwei Jahren schluckte Knut jede Kränkung. Er
versuchte, die Freundschaft der älteren Heimbewohner dadurch zu gewinnen, dass
er ihnen regelmäßig seinen Nachtisch überließ. Außerdem erledigte er für sie
freiwillig die ungeliebten Pflichten, die jedes Kind übernehmen musste, wie das
Reinigen der Toiletten. Er schwärzte sogar Mitbewohner an, wenn diese sich
nicht an die Regeln hielten. Das alles verschaffte ihm zwar keinen Respekt bei
den Gleichaltrigen – ganz im Gegenteil. Aber zumindest wurde er von den Älteren
in Ruhe gelassen und sie signalisierten den anderen Jungs, dass Knut unter ihrem
Schutz stand.
    Seine schulischen Leistungen blieben dürftig, aber ausreichend. Von
Jahr zu Jahr stand seine Versetzung auf der Kippe, aber irgendwie gelang es ihm
immer, diese Hürde zu nehmen. Nur im Sportunterricht erhielt er regelmäßig die
Bestnote. Denn Knut war klar, dass er – mit seiner schlaksigen Figur – in
diesem Heim nur in der Hierarchie aufsteigen konnte, wenn er in der Lage war,
sich zu wehren. Also trainierte er in jeder freien Minute, machte Gymnastik, um
seine Muskeln zu stärken und lief, bis er glaubte, seine Lunge müsste platzen.
    Und langsam, fast unmerklich, wuchs Knut in seine neue Rolle hinein.
Kurz vor seinem vierzehnten Geburtstag wurde er in ein anderes Zimmer zu den
jüngeren Kindern verlegt und dort zum
Stubenältesten befördert. Endlich! Er hatte es geschafft. Jetzt gehörte er
dazu. Und sofort begann er, sein eigenes Schreckensregime zu errichten.
    Am 25. März 1988, der Tag, an dem er vierzehn wurde, befahl ihn
der Leiter des Heimes in sein Büro.
    Sein neues Selbstbewusstsein war schlagartig verschwunden und er
stand verschüchtert vor dem großen Schreibtisch, hinter dem der Erzieher
thronte. Jürgen Schäfer galt unter den Heiminsassen als streng und
unnachgiebig, jedoch war ihm, im Gegensatz zu seinen Mitarbeitern, noch nie die
Hand ausgerutscht.
    »Du fragst dich vermutlich, warum ich dich habe rufen lassen?«, fragte
er mit befehlsgewohnter Stimme.
    Knut nickte zögernd mit dem Kopf.
    Der Heimleiter griff zu einem Umschlag, der vor ihm lag. »Das Jugendamt
hat festgelegt, dass du nun über einen Teil deines Geldes verfügen kannst.«
    Das Jugendamt. Diese in den Augen der Heimkinder gottgleiche Institution,
die über das Wohl und Wehe der ihr Anvertrauten entschied. Von Zeit zu Zeit
kamen Abgesandte dieser Behörde, tranken Kaffee mit dem Leiter und den anderen
Erziehern, führten kurze Gespräche mit den Kindern. Und sie legten nach Gutdünken
fest, das hatte Knut immer wieder zu hören bekommen, ob jemand in eine andere
Einrichtung verlegt oder – wie die älteren – gar entlassen wurde. Von ihrem Votum
hing es ab, ob man eine öffentliche Schule besuchen durfte oder weiter im Heim
unterrichtet wurde. Und diese Unnahbaren hatten nun beschlossen, ausgerechnet
ihm Geld zu schenken.
    Der Leiter deutete den fragenden Blick des Kindes, welches nun nicht
mehr wie ein Häuflein Elend vor ihm stand, richtig.
    »Durch einen Anwalt wurde, seitdem du in unserer Obhut bist,
monatlich ein Taschengeld überwiesen. Einen Teil davon haben wir dir ausgehändigt.«
    Knut hatte bisher angenommen, dass die zehn Mark, die er am Anfang jedes
Monats bekam, von den Erziehern stammte. Denn alle Kinder seines Alters
erhielten Taschengeld in derselben Höhe.
    Was ein Anwalt eigentlich machte, wusste Knut nicht so genau. Er
meinte sich aus dem Schulunterricht zu erinnern, dass solche Leute irgendetwas
an Gerichten arbeiteten. Und Knut wollte mit Gerichten nichts zu tun haben.
Aber wenn dieser Anwalt ihm Geld schenkte, ging das in Ordnung. Auch wenn er
sich nicht vorstellen konnte, warum das jemand freiwillig tat.
    »Den anderen Teil haben wir für dich zurückgelegt. Davon bekommst du
heute einhundert Mark. Den restlichen Betrag erhältst du an deinem achtzehnten
Geburtstag.« Er reichte Knut den Umschlag. »Herzlichen Glückwunsch. Und
überlege dir gut, was du mit dem Geld

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