Töwerland brennt
der Spelunke eingekehrt
und hatte darüber den Anruf völlig vergessen. Aber Elke würde Oskar nie im
Leben allein lassen. Misstrauen kroch in Rainer hoch. »Und was hast du mit
Oskar gemacht?«
»Er hat den Abend bei meiner Freundin Maria verbracht.«
»Was war das denn für ein Termin?«
»Muss ich mich vor dir rechtfertigen? Du bist es doch, der ständig
alles verbaselt. Da sollte wenigstens ich mich um unser Geschäft kümmern,
meinst du nicht?«
Rainer spürte Erleichterung. »Dienstlich?«
»Was dachtest du denn?«
»Äh …«
Elke lachte auf. »Eifersüchtig? Du hast auch allen Grund dazu. Ich
habe mich mit einem attraktiven Mittsiebziger getroffen, der sich von seiner
Frau scheiden lassen will.«
Rainer kam die nun folgende Pause sehr lange vor.
»Und bevor dir jetzt das Herz stehen bleibt: Ich soll ihn vertreten.
Da er nicht in unsere Praxis kommen wollte, habe ich mich mit ihm in einem Café
getroffen. Ein ausgesprochen lukratives Mandat. Das ist alles.«
Rainer atmete tief durch.
»Um dir zuvorzukommen: Nein, ich habe noch keine Schufa-Auskunft erhalten.
Ruf morgen an. Vielleicht weiß ich dann mehr. Wann kommst du endlich zurück?«
»Ich weiß es noch nicht. Auf jeden Fall so schnell als möglich.«
»Der Kleine vermisst dich.
Möchtest du mit ihm sprechen?«
Rainer wollte.
Am nächsten Morgen – die Wetterlage war stabil geblieben –
orderte Rainer schweren Herzens nach dem Frühstück beim Zimmerservice eine
Kanne Kaffee, öffnete seine Balkontür und begann, die Ordner chronologisch vor
sich aufzubauen. Dann griff er zum ersten, setzte sich nach draußen und schlug
ihn auf.
Schnell erkannte Rainer
das Prinzip der Sortierung. Einhefter mit den Jahreszahlen gliederten den Inhalt.
Innerhalb der verschiedenen Jahre waren die Namen alphabetisch geordnet. Die
Unterlagen jedes der Angestellten wiederum folgten dem Aufbau: Deckblatt mit
den persönlichen Daten, Arbeitsvertrag, Zeugniskopien, Briefwechsel. Jedes
Blatt eines Ordners war durchnummeriert, womöglich, um ein Fehlen einzelner
Seiten einfach feststellen zu können.
Esch suchte nach einer Auffälligkeit in den Personalakten der
einzelnen Mitarbeiter; nach einer Auseinandersetzung möglicherweise, die
aktenkundig geworden war. Irgendeinen Hinweis auf einen Vorfall, der vielleicht
einen der Beschäftigten zum Erpresser hatte werden lassen.
Nach vier Stunden und einer zweiten Kanne Kaffee rauchte ihm der
Kopf. Immer wieder die gleichen Deckblätter. Ein Arbeitsvertrag wie der andere.
Dieselben stereotypen Formulierungen in den Zeugnissen: Zu
unserer vollsten Zufriedenheit, wünschen wir Frau Huppdidubbel auf ihrem
weiteren Lebensweg, verlieren wir eine verdienstvolle …
Er brauchte dringend eine Pause. Außerdem hatte er seit Stunden
nicht geraucht.
Rainer suchte sich einen Platz draußen vor der Hotelbar und ließ
sich von Ützelpü eine Apfelschorle bringen.
»Sie sollten sich besser in den Schatten setzen«, ermahnte ihn
Ützelpü, als er das Getränk servierte. »Sie sehen, wenn ich das so sagen darf,
im Gesicht aus wie ein Feuermelder. Zu viel Sonne schadet, glauben Sie mir.«
Esch folgte dem Rat. Er hatte schon am Morgen gespürt, dass sich
seine Haut nicht nur auf dem Rücken, sondern auch auf Stirn und Nase bedenklich
spannte. Außerdem scheuerte sein T-Shirt unangenehm auf seiner Schulter. Der
Sonnenbrand, der ihn gestern noch wenig berührt hatte, hatte sich stark
gerötet. Elke fehlte ihm. Und sei es auch nur deswegen, um seinen malträtierten
Rücken mit lindernder Feuchtigkeitscreme einzureiben.
Dreißig Minuten später saß er wieder vor seiner Arbeit. Er kam
sich vor wie Sisyphus. Ordner aufklappen, Klammer lösen, Seite für Seite
durchblättern, Daten lesen, Klammer wieder befestigen, Ordner schließen.
Welcher Teufel hatte ihn geritten, sich
freiwillig auf einen solchen Mist einzulassen?
Doch in einem der ersten Ordner, den er sich nach der Pause
vorgenommen hatte, stieß er auf Ungewöhnliches. Einer der Angestellten war 2004
von der Hotelleitung belobigt worden. Er hatte einen Kollegen, der als
Saisonarbeiter tätig war, dabei ertappt, wie dieser einen weiblichen Gast mit
Drogen betäuben wollte; vermutlich, um sich an ihr zu vergehen. Der Täter, dessen
Daten Esch ebenfalls fand, war entlassen, angezeigt und verhaftet worden und
hatte sich kurz darauf in der Untersuchungshaft das Leben genommen. So war es
jedenfalls in einem Zeitungsartikel zu lesen, der sich ebenfalls im Ordner
befand. Der Mann schied
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