Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Toggle

Toggle

Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
Vom Netzwerk:
Valley Hills hatte offensichtlich versucht, ihn in die Videokonferenz zurückzuholen. Inzwischen befand er sich auf dem Berliner Ring, die Chancen standen deutlich besser als an der Grenze mit ihren weißen Flecken in der 3G-Abdeckung.
    Neben ihm hupte es, Bremsen quietschten, und Kingfish korrigierte seine leichte Linksdrift. »Idiot!«, brüllte er dem betagten Astra hinterher. Natürlich ein Landsmann – untermotorisiert, aber frech. Er wusste, dass die Deutschen Polen nicht leiden konnten, aber er konnte weder Polen noch Deutsche leiden. Sie erschienen ihm einander viel zu ähnlich.
    Kingfish beugte sich wieder über den Computer. Manchmal half es, den Surfstick herauszuziehen, damit beim zweiten Versuch mehr als nur ein Bälkchen in der Empfangsstärkenanzeige aufflackerte. Doch selbst zwei Balken hätten für eine Videokonferenz nicht gereicht. Er gab auf.
    Als er wieder aufsah, brauchte er eine Zehntelsekunde, um zu begreifen, dass nicht der Himmel auf seine Windschutzscheibegefallen war, sondern dass sich eine dunkelblaue Wand auf ihn zubewegte. Keine zwanzig Zentimeter vor seiner Stoßstange kroch ein LKW die rechte Spur entlang. Links rollte dichter Verkehr. Kingfish riss das Steuer herum und scherte nach rechts aus, um den Laster auf dem Standstreifen zu überholen. Dabei sah er im Rückspiegel die schrumpfenden Schilder eines Autobahnkreuzes. Seine Computerspielereien hatten ihn die Abzweigung nach Hamburg verpassen lassen. Fluchend gab er Gas und fuhr auf dem Standstreifen zur nächsten Ausfahrt weiter. Als er an der Einmündung zur Landstraße entscheiden musste, ob er umkehren oder ein Stück querfeldein fahren solle, sah er die Tramperin. Sie stand neben dem Schild Prützke 2   km und wirkte verzweifelt. Jemand, der wie Frank Zappa aussah, hatte ein Herz für Anhalter.
    »Berlin?«, fragte das Mädchen, als es in den Humvee kletterte.
    »Hamburg«, sagte er.
    »Auch gut«, sagte das Mädchen. »Hauptsache weg von Prützke! Ich hab ein paar Scheißtage hinter mir, das kannst du mir glauben!«
    Wer sich so einführte, würde viel zu erzählen haben. Kingfish freute sich auf eine unterhaltsame Fahrt.

[Menü]
    74
   Valley Hills
Freitag, 30.   Juli, 11   :   15
    »Wir sind viel weiter als unser Impulsgeber im 18.   Jahrhundert«, bestätigte der Mann. »Dennoch wäre die historische Quelle von immensem Nutzen für die Marketingabteilung gewesen.«
    NoReply sah plötzlich, dass sich im IRC – Fenster von Steve etwas tat. Wollte er ihr etwas mitteilen? Sie versuchte, von den anderen unbemerkt darauf zu schielen. Dummerweise hatte sie das winzige Fenster in die untere linke Ecke des 27-Zoll-Bildschirms verbannt.
    Der Mann lehnte sich zurück. »Jede neue Idee kämpft mit dem, was die Philosophen Wahrheitsfähigkeit nennen. Menschen mögen keine neuen Ideen. Beweist man ihnen aber, dass eine Idee sehr alt ist, gewinnt diese Idee augenblicklich an Wahrheitsfähigkeit.«
    »Glaubhaftigkeit«, verbesserte AccessDenied.
    NoReply tat, als jucke ihr linkes Auge heftig. Während sie sich den Augapfel knauschte, entzifferte sie Steves Botschaft: »Ich bin ein Idiot! Turin liegt natürlich nicht in der Nord-, sondern in der Südschweiz!«
    »Glaubhaftigkeit mh … mir gefällt der Terminus Wahrheitsfähigkeit besser. Denn Wahrheit muss man vorbehaltlos akzeptieren, sie ist keine Frage des Glaubens. Dazu kommt ein physischer Aspekt. Ich will niemandem von euch zu nahe treten, ihr seid hervorragende Informatiker … aber ein digitaler Code erzählt den Menschen da draußen nichts. Sie brauchen etwas zum Anfassen. Etwas, das riecht und Staub fängt, wenn man es ein paar Jahrhunderte lang im Regal liegen lässt. Ein Buch.«
    Für einen Toggle-Angestellten formulierte der Mann seltsam. Seine Worte klangen untechnisch, beinahe selbst angestaubt. Er trug einen dunklen Anzug mit Krawatte, was gegen den allgemeinen Kleidungskodex verstieß. Damit wurde den beiden Gründern – You can be serious without a suit!  – offen die Stirn geboten. Am schlimmsten war die kleine goldene Anstecknadel an der Krawatte des Mannes. Ein Golfclub-Spießer!
    »Steve, du störst«, tippte NoReply. »Hau ab!«
    »Ich wäre dankbar, wenn alle in der Runde konzentriert blieben und keine private Korrespondenzen nebenher führten«, sagte der Mann mit liebenswürdiger Stimme, der ein sehr kalter Ton beigemengt war. »LogIn hatte sich übrigens einen Masterstatus zugebilligt, so dass alle Fenster auf meinem Bildschirm zu sehen sind.

Weitere Kostenlose Bücher