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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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wohl daran, dass wir Amerikaner von Haus aus verweichlicht sind. Wir haben ja selbst im Irakkrieg nicht auf mitgebrachte Duschen verzichtet.«
    Wieder lachte der ganze Saal. Holzwanger musste zugeben, dass er dem vierschrötigen Ex-Militär nicht zugetraut hätte, ein feindselig eingestelltes Publikum so geschickt um den Finger zu wickeln. Der bat mit einer Handbewegung um Ruhe.
    »Wir tagen in Mellau, weil Mellau eine Geschichte hat. Weil meine Geschichte hier beginnt. Ich wurde hier geboren. Im ersten Stock, Zimmer 54.«
    Im Saal wurde es still. Weinberger grinste.
    »Sie denken, aha, der Kerl ist ein verkappter Hotelerbe und beichtet jetzt, dass er an der Veranstaltung privat verdient? Nebbich! Meine Eltern kamen aus Theresienstadt. Displaced persons , wie man das freundlicherweise umschrieb, und sie kurierten hier eine Tuberkulose aus. Man kann es auch deutlicher sagen: Sie haben den Holocaust überlebt! Und ich wurde auf Schloss Mellau geboren, weil das Schloss ein Erholungsheim für solche Menschen war, die sich noch erholen konnten.«
    Deswegen ist Deutsch seine Muttersprache, durchzuckte es Holzwanger. Er merkte, wie ihm ein paar Schweißperlen die Achseln herunterrannen. Allmählich wurde ihm in der ersten Reihe ungemütlich zumute. Denn gleich musste er das Podium erklimmen und die Moderation übernehmen.
    »Soll ich jetzt sagen, wie sehr ich darunter leide, dass wir hier ineinem Wellness-Ressort sitzen? Dass wir an einem Ort Saunaaufgüsse genießen, an dem sich Menschen die Spuren jahrelanger Todesangst vom Leibe wuschen? Soll ich Ihnen erzählen, wie sehr es mich quält, dass meine Eltern über jedes Essen froh waren, während Sie alle schon herummäkeln, wenn das Fünfgangmenü nach 15 Gault-Millau-Punkten schmeckt, obwohl es den Anspruch auf 17 erhebt? Soll ich meiner Empörung über unsere allgemeine Degeneration Ausdruck verleihen?«
    Im Saal hielten die Menschen die Luft an. Holzwanger schielte zu Melissa Stockdale hinüber, die dicht neben der Tür an der Wand lehnte. Sie war weiß wie ein Bettlaken geworden. Niemand wusste, worauf der Chefstratege hinauswollte.
    »Blödsinn! Ich liebe die Freiheit, die es uns gestattet, ein Lazarett in ein Hotel umzuwandeln, ein Siechenheim in ein Luxusressort! Ich liebe die Freiheit, machen zu dürfen, was mich und andere voranbringt. Ich liebe die Freiheit, die mir als Sohn zweier displaced persons in den USA geschenkt wurde, um mich aus eigener Kraft bis ins Headquarter von Toggle Inc. vorzuarbeiten. Und Toggle Inc. …«, Weinbergers Augen blitzten zornig auf, »liebt die Freiheit so sehr, dass wir nun alle Bücher und Gedanken der Welt befreien werden!«
    Er hielt inne, um dem frenetischen Applaus Raum zu gewähren, den er an dieser Stelle erwartete. Doch keine Hand rührte sich.
    »Nun gut«, knurrte Weinberger. »Machen wir’s kurz: Wir befreien die Bücher, und diese Freiheit wird uns eine neue Weltordnung geben, weil alle Gedanken miteinander konkurrieren und die besten gewinnen können. Was las ich neulich bei einem ausnahmsweise nicht ganz so beschränkten Vertreter Ihrer Zunft? ›Bücher sind der Sarg, in den man Worte versenkt, um sie dort sterben zu lassen.‹ Wir exhumieren diese Särge jetzt. Ob die Leichen stinken oder nicht. Danke.«
    Um keinen zweiten Moment der Peinlichkeit aufkommen zu lassen, begann Melissa heftig zu applaudieren. Einige wenige Journalisten schlossen sich an. Holzwanger griff nach seinen Notizen, erhob sich von seinem Platz und stieg zum Podium hoch.
    Das Herz schlug ihm bis zum Hals.

[Menü]
    21
   Mellau (Kinder-Spa)
Montag, 26.   Juli, 14   :   15
    »Sie dürfen sich aber nicht beschweren, wenn Sie einen Wasserball an den Kopf kriegen!«
    Den Blondschopf von zwölf Jahren schien es zu stören, dass sich Pia mit Lektüre, Obst und einem kalten Getränk an der Stirnseite des Kinderschwimmbeckens niedergelassen hatte.
    »Das ist hier nämlich der Kinderpool!«
    »Keine Bange, ich bin Kinder gewöhnt.«
    »Beruflich oder privat?«, wollte der Blondschopf wissen.
    »Lass es mich so sagen, junger Mann: Als Beruf hätte ich mich schon längst anders orientiert!«
    »Also viele«, stellte der Blondschopf befriedigt fest. »Sechs?«
    Pia verzog bedauernd die Miene: »Leider nur vier. Dafür eine Doppelpackung.«
    »Wir sind sechs!«, triumphierte der Blondschopf. »Was heißt Doppelpackung?«
    »Zwillinge.«
    »Ah!«, machte der Junge. »Vielleicht die, die gerade unter der Eismaschine in der Sauna ein Iglu

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