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bauen?«
»Könnte sein. Sähe ihnen jedenfalls ähnlich.«
Seit der Ankunft am Sonntagabend und der ersten flüchtigen Inspektion der weitläufigen Hotellandschaft hatte Pia beschlossen, sich von nichts mehr aus der Ruhe bringen zu lassen. Am allerwenigsten von etwaigen Machenschaften ihrer Kinder. Unaufhörlich hatte das Personal versichert, wie freizügig sich die kleinen Gäste bewegen dürften und wie gerne man ihnen jeden Wunsch erfüllte.
Tatsächlich schien das der Wahrheit zu entsprechen. Im Bereich des Kinder-Spa – er machte nur einen Teil der Attraktionen für den Nachwuchs aus – herrschte ein fröhliches Tohuwabohu, ohne dass jemand korrigierend eingriff. Dass die Holzwanger-Zwillinge Adam und Adrian mit der Eismaschine in der Sauna herumspielten, konnte schon deswegen niemanden stören, weil sich außer ihnen niemand im Kindersaunabereich aufhielt. Nur Olga hatte mit ihren dreizehn Jahren einen knapp zweiminütigen Aufwärmversuch unternommen, dann aber diese Vergnügung unter der Kategorie ›Torturen‹ verbucht und den Spa fluchtartig verlassen.
Pia war das recht. Sie freute sich auf ausgedehnte Sauniergänge in vollkommener Abgeschiedenheit. Diejenigen, die sich im Erwachsenen-Spa von den Kindern abschieden, mussten dagegen mit überempfindlichen Altersgenossen vorliebnehmen.
»Wie lange bleiben Ihre Kinder?«
»Eine Woche«, gähnte Pia.
Jetzt hätte sie doch gerne Ruhe gehabt. Die Fragestellung kam ihr indes seltsam vor. Sie sah den Jungen aufmerksam an: »Glaubst du, Eltern lassen ihre Kinder länger Urlaub machen, als sie ihn sich selber gönnen?«
»Kommt vor«, nickte der blonde Junge. »Die parken hier ihre Kids und fahren dann drei Tage zum Shopping nach München oder zu den Festspielen nach Salzburg. Stört meinen Papa aber nicht.«
Jetzt fiel Pia wieder ein, dass sie in der Imagebroschüre von der beeindruckenden Kinderzahl des Hotelbesitzers gelesen hatte. Der Blondschopf musste einer seiner Söhne sein.
»Wie lebt sich’s denn so auf Schloss Mellau? Ich meine, wenn man hier immer lebt?«
»Na ja«, sagte der Zwölfjährige mit großem Ernst, »es könnte mehr Dauerhaftigkeit geben. So verschenkt man seine Zuneigung immer nur an Durchreisende. Aber man will ja seinen Eltern keine Steine in den Weg legen«, beeilte er sich hinzuzufügen.
Pia musste grinsen. Wenn alle Kinder so gut erzogen waren wie der Hotelierssohn, würde ihre Bande rasch unangenehm auffallen.
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22
Mellau (Tanzsaal)
Montag, 26. Juli, 14 : 30
»Hi!«, flüsterte Olga Holzwanger. Melissa Stockdale drehte sich um: »Olga! Was machst du denn hier?«
»Wollte mal sehen, wie Paps öffentlich aussieht«, flüsterte Olga. »Kommt er jetzt ins Fernsehen?« Sie deutete auf die Kameras.
»Vielleicht! Aber pschscht!« Melissa legte den Zeigefinger auf ihre Lippen. Olga quetschte sich zu einem leeren Stuhl in der vorletzten Reihe durch.
Auf dem Podium hatte Nikolaus Holzwanger ein paar organisatorische Worte gesprochen und dabei deutlich die Voreingenommenheit des Publikums gespürt. Man war hier, um Toggle zu verurteilen! Auch die Stimmung unter den Beteiligten sprach Bände. Links außen krümmte sich ein schmächtiger französischer Intellektueller so weit über die Stuhllehne, dass er fast nach hinten wegkippte. Ganz offensichtlich wollte er maximalen Abstand zum rechts außen platzierten Reimar Dijkerhoff gewinnen.
»Professor Alexandre Ranchin«, stellte Holzwanger den Franzosen vor, »beschäftigt sich als Historiker mit dem 18. Jahrhundert. Sein Spezialgebiet ist die Französische Revolution.«
»17. bis 19. Jahrhundert«, verbesserte Ranchin. »Revolution ist ein Prozess, kein Datum.«
Sofort setzte ein leises Flüstern der Simultanübersetzerin ein, die in Ermangelung schalldichter Übersetzerkabinen zusammen mit ihren Kollegen am Nordfenster des Tanzsaals saß. Mit kurzer Verzögerung hörte man ihre Stimme aus fast 150 Kopfhörern des Auditoriums.
»Das hört sich ja furchtbar an«, sprach Ranchin plötzlich im fehlerfreien Deutsch eines Elsässers. »Sie werden es sicher vorziehen, wenn ich Ihre Sprache spreche.«
Das Publikum dankte ihm mit Applaus. Holzwanger fuhr erleichtert fort: »Neben Professor Ranchin sitzt noch nicht Joachim Sterzel, seines Zeichens Lehrstuhlinhaber für Informatik in Dresden. Er muss jeden Augenblick eintreffen, leider hat er sich bei der Routenplanung auf die Zeitangaben von Toggle Maps verlassen.«
Leises Kichern im Saal signalisierte
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