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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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durchtrennt, was zu Unruhe Anlass gab. Lief der Mörder noch auf dem Hotelgelände herum? Diese Unruhe hatte sich in trägen Wellen unter den Gästen ausgebreitet, bis sie schließlich Olga erreichte, die im Teesaal seelenruhig ein Stück Nusstorte aß. Dafür schämte sie sich ganz besonders.
    Es klopfte leise an die Schranktür.
    »Olga?«
    »Nein«, rief Olga mit tränenerstickter Stimme. »Lass mich in Ruhe, Mama!«
    »Noch fünf Minuten, okay?«, mahnte die Stimme der Mutter sanft. »Wir brauchen unsere Koffer für die Abreise. Papa hat die Veranstaltung abgebrochen, und die Zwillinge sind so verstört, dass sie keine Nacht mehr hierbleiben wollen. Ich übrigens auch nicht.«
    »Ja«, schluchzte Olga. »Gleich.«
    Melissa, Melissa, Melissa.
    Nikolaus Holzwanger hielt die beiden zitternden Zwillinge Adam und Adrian im Arm und strich ihnen abwechselnd über den Kopf. Joshi saß auf dem Bett und schmollte. Er fand es absolut gemein, dass ihm die Eltern den Triumph als Totfraufinder nicht gönnen wollten. Die Leute von der Zeitung hatten ihn sofort fotografieren wollen, waren jedoch von Mama daran gehindert worden.
    Leise begann auch er zu heulen, allerdings vor Wut. Pia kam aus dem Nachbarraum zurück und setzte sich neben Joshi.
    »Wer?«, fragte sie gedämpft in Richtung ihres Mannes.
    »Schschschsch«, machte Holzwanger. Vor den Kindern wollte er keine Vermutungen äußern.
    »Und warum?«, sinnierte Pia. Joshi krabbelte auf ihren Schoß.
    »Schschschsch«, wiederholte Holzwanger. Nach dem Schockmoment, da er die tote Melissa im Bachbett umgedreht und in ihr vor Kälte schon erstarrtes Gesicht geblickt hatte, beschäftigte ihn die unmittelbare Zukunft mehr als die Vergangenheit. Musste er den vermaledeiten Kongress neu ansetzen und noch einmal von vorn beginnen?
    Pia hob Joshi von ihrem Schoß herunter und setzte ihn auf einen Sessel. Der Fünfjährige greinte wütend wieder los. »Es hilft nichts, ich muss Olga aus dem Schrank holen.«
    Holzwanger nickte.
    Olga schniefte. Ihre Nase lief. Die Packung Tempotücher, die sie am Morgen eingesteckt hatte, lag draußen neben dem Liegestuhl. Olga grabbelte in der Dunkelheit des Schranks nach Jacken und Hosen. Sie fand ihren Jeansrock vom Vortag und tastete ihn ab. Die aufgenähte Tasche! Etwas Hartes, Unförmiges beulte das Kleidungsstück aus. Sie polkte eine Tüte heraus, riss sie auf. Mit den Fingern ließ sich ein Klumpen zusammengepappter Jellybeans erfühlen.
    Melissa, Melissa, Melissa!
    Bohne um Bohne zerlegte sie den Klumpen in seine Einzelteile. Dann steckte sie sich eine Bohne in den Mund. Vanille. Noch eine. Birne. Noch eine. Wieder Birne. Im Schrank war es stockfinster. Intensiver als sonst konnte sie die Aromen der Jellybeans auf der Zunge spüren.
    Plötzlich wusste sie Bescheid.
    Sie stieß die Tür von innen auf und rannte ihre Mutter fast über den Haufen. »Olga!«, rief Pia erstaunt aus. »Geht’s wieder?«
    »Jetzt nicht, Mama«, stieß die Dreizehnjährige hervor. »Ich muss dringend aufs Klo.«
    Sie musste ins Internet. Was für eine dumme Ausrede!

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    46
   Mellau (Bibliothek)
Dienstag, 27.   Juli, 17   :   15
    Der ermittelnde Beamte war ein älterer, schon grauhaariger Mann, der im Beruf gleichgültig geworden war. Er hockte vor einem sehr alten, abgestoßenen Billig-Laptop in der unteren Bibliothek neben dem Teesalon und versuchte, eine Verbindung zum hoteleigenen WLAN herzustellen.
    »Wir werden Sie bei Ihren Ermittlungen mit aller Kraft unterstützen«, versicherte ihm Walter Weinberger. Demonstrativ gelassen blätterte er in einem Bildband mit Schlössern und Burgen herum. »Dazu gehört wahrscheinlich auch die vertrauliche Information, dass Mrs. Stockdale, übrigens mein Patenkind –«
    »Tut mir leid«, sagte der Beamte mechanisch.
    Weinberger nahm die Kondolenzbezeigung mit einem zerstreuten Nicken zur Kenntnis, »… dass Mrs. Stockdale kerngesund war. Bis auf eine winzige Ausnahme.« Er klappte das Buch zu und schob es zurück ins Regal. »Sie litt unter Diabetes. Sie war Typ 1, also von regelmäßigen Insulininjektionen abhängig.«
    Der Beamte ließ nicht erkennen, ob ihn diese Information interessierte oder nicht.
    »Kann ich demnach davon ausgehen, dass sie ertrank?«, fragte Weinberger.
    »Wenn jemand eine Stunde lang mit dem Gesicht nach unten in einem Bergbach liegt, wird er wohl Probleme mit der Atmung bekommen haben.« In Sachen Lakonie konnte der Beamte Weinberger das Wasser reichen.
    »Wenn sie nicht schon

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