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Doch immer noch eine bessere Luft, als sie eine Horde Schweine oder ein Dutzend Lumpensammler hinterlässt. Marsch, voran!«
Doch der Geruch wurde stärker, und als beide den Aufmarschplatz vor dem städtischen Königspalast erreicht hatten, sahen sie sich mit einer Hundertschaft berittener Soldaten konfrontiert, die unmittelbar vor dem Aufbruch stand. Zum Glück nahm das Militär keine Notiz von dem seltsamen Paar, das sich den Weg zwischendampfenden Pferdeleibern und zehn großen Leiterwagen suchte. Nur auf einem Wagen lag ein kräftiger Baumstamm. Die anderen waren leer.
»Man wird den Hafen ausräuchern«, vermutete der Lumpensammler Roverto. »Wegen des Fiebers.« Er war beunruhigt.
Das Gesundheitsgericht, das für solche Verfügungen zuständig war, hatte am Nachmittag getagt, und unter den Lumpensammlern war die Nachricht darüber schnell herumgegangen. Roverto hatte sie unverzüglich verdrängt, denn nur ein kleiner Teil seiner Lumpen lag schon sicher im Bauch des französischen Schoners. Den größeren hatte er zurückgehalten, weil er sich von jedem verstrichenen Tag einen höheren Preis versprach. Dafür hatte er die Miete eines Lagerplatzes in Kauf genommen, und der befand sich unweit der Mole im Hafen. An Land – also im Zugriffsbereich des Gesundheitsgerichts.
»Eine Bande korrupter Winkeladvokaten!«, jammerte Roverto. »Sie legen den Seehandel lahm, damit man ihnen Bestechungsgelder zahlt. Sobald es in ihrer Kasse klingelt, ist die Gefahr vorbei.«
Doch die Soldaten hatten augenscheinlich etwas anderes im Visier. Das Meer lag in ihrem Rücken, ihre Gesichter waren landeinwärts gewandt. Ein Hauptmann befahl mit heiserer Stimme wieder abzusitzen. Säbel, Sporen und die metallenen Teile des Zaumzeugs klirrten im Abendwind.
»Siehst du, Nichtsnutz? Es ist nur eine Übung«, fauchte Angelina. Sie war wütend. Mehrfach hatte der Karren um die Soldaten herummanövriert werden müssen, nun war sie mit ihrer Geduld am Ende. »Ich habe ein Ziel, und ich werde es erreichen!« Zornig versetzte sie dem Lumpensammler einen Stoß.
Roverto stolperte voran. Eine paar Pferdeknechte, die die Szene beobachtet hatten, johlten laut auf. Er sah ihre Peitschen und wünschte sich ein ähnliches Instrument herbei, um die Frechheiten des Weibsstücks zu ahnden.
Ortsfremde vermochten die Chiesa del Gesù Nuovo kaum als Kirche auszumachen. Nur ein kleines Kreuz, das sich hoch über der abwehrenden Schutzmauer in den Himmel reckte, verriet, dass dietrutzige Fassade kein Munitionslager, sondern einen geweihten Ort verbarg. Ursprünglich die Außenhaut eines Adelspalastes, hatten die Jesuiten nur eine enge Eingangspforte ins Mauerwerk geschlagen und auf mehr als drei Fenster verzichtet, die sich überdies in einer für jeden Eindringling unerreichbaren Höhe befanden. Besonders abweisend wirkten die schon vor Jahrhunderten angebrachten diamantförmigen Steinquadern, die mit ihrer Spitze nach außen ragten und dem Mauerwerk den Anschein eines Echsenpanzers verliehen. Es war kein Ort, an dem man sich willkommen fühlte, und daran änderte auch nichts, dass die schmale Eingangspforte mit einer barocken Prachthaube überwölkt war. Kein Windlicht erleuchtete sie, kein Türklopfer ermunterte Bittsteller, sich bemerkbar zu machen.
Angelina bedeutete dem Lumpensammler, geräuschvoll gegen die Eichenbohlen zu treten. Nach einer Ewigkeit hörte man das Quietschen eines rostigen Riegels, der innen zur Seite geschoben wurde. Die Tür schwang auf, und ein dürrer, älterer Padre erschien. Sofort erhob Angelina lautstarkes Wehklagen über ihren verstorbenen Mann, der ihr befohlen hatte, noch am Abend seines Sterbetages den Jesuiten sein letztes Vermächtnis zu überbringen.
Der Padre machte keinerlei Anstalten, die Besucher hereinzubitten. »Habt ihr die roten Grenadiere in den Straßen gesehen?«, fragte er nervös.
»Nein«, sagte der Lumpensammler. »Rote Grenadiere? Nein.« Er schüttelte den Kopf.
Dem Padre war seine Erleichterung anzumerken. »Man hat uns zugetragen, dass der König ein gottloses Verbrechen gegen den Orden plant«, flüsterte er. »Freilich ein windiges Gerücht, wenn ihr mir versichert, dass sich die roten Grenadiere nicht in der Stadt versammelt haben.«
»Kein Einziger«, beteuerte der Lumpensammler verschlagen. Er konnte eins und eins zusammenzählen, er war ja kein Dummkopf. »Aber Reiter. Nicht viele, 100, 150, mit ein paar Leiterwagen, nicht vielen, zehn, zwölf … doch genug, um all eure Sachen
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