Tokatas Todesspur
Schnauze hatte sie weit aufgerissen. Das Maul war mit einer grünen Flüssigkeit gefüllt, die wie ein Wasserfall aus ihm herausschoß, sich auf den Boden ergoß und anfing zu dampfen, als bestünde sie aus einer Säure. Das Ende der Ratte bekamen wir nicht mehr mit. Suko und ich hatten einen Bogen geschlagen. Wir wollten diesen Ort so rasch wie möglich hinter uns lassen, denn unser eigentliches Ziel hatten wir noch längst nicht erreicht.
Die Müllberge waren noch größer, als sie von unserem ersten Standpunkt aus ausgesehen hatten. Es dauerte seine Zeit, bis wir sie passiert hatten.
Der Weg führte wieder in die Höhe. Er wurde auch anstrengender, die Vegetation wechselte. Zwar blieb der Grasboden, doch zuvor war er kahl gewesen. Jetzt bedeckten ihn Sträucher und Büsche. Ich hatte sie noch nie gesehen, aber sie waren nicht kahl. Blaue oder grüne Beeren hingen an den Zweigen. Vielleicht Futter für irgendwelche Vögel. Und damit hatte ich ein Stichwort. Vögel hatten wir nicht gesehen.
Normalerweise ist es so, daß sich gerade auf den Inseln vor den langen Küsten die Vögel aufhalten. Sie finden dort ein regelrechtes Paradies.
Das war auf der Insel des Schweigens nicht der Fall. Kein einziger Vogel war bisher über das Land geflogen. Die Tiere wußten genau, weshalb sie die Insel mieden, denn hier lauerte das Böse.
Und das suchten wir.
Schweigend erklommen wir den nächsten Hügel. Die Müllberge lagen jetzt hinter uns, unser Blick schweifte hinunter in ein Tal, wie ich es hier nie vermutet hätte. »Da muß es sein«, sagte Suko sofort.
Auch ich schloß mich der Meinung meines Freundes an. Es gab keine andere Möglichkeit, denn dieses Tal wollte überhaupt nicht zum übrigen Teil der Insel passen. Es war so fremd, so exotisch, so anders und auch irgendwie düster und drohend. Vielleicht trugen die hohen, seltsam gewachsenen und laublosen Bäume die Schuld daran. Ihre Zweige und Äste streckten sie wie dunkle Arme vor, als wollten sie damit den Boden beschützen.
Zwischen den Bäumen allerdings wucherte dichtes Unterholz, und wir sahen am Ende des Tals auch einen Felsen, der einen weiteren Ausgang versperrte.
Rechts und links des Tals wuchs das Gelände fast steil in die Höhe. Man konnte es noch als Hang bezeichnen, und aus ihm ragten regelrechte Felsnasen sowie schief gewachsene, gewaltige Steinblöcke, die eine braune Tönung angenommen hatten. Die Bäume hatten sich mit ihrem starken Wurzelwerk regelrecht in die Hänge hineingekrallt, als wollten sie den Felsen nicht mehr loslassen.
»Genau, das ist es«, murmelte ich.
»Und wo stecken Tokata und der Goldene?« fragte Suko. Dabei grinste er schief.
Ich hob die Schultern. »Vielleicht sind sie noch nicht da.«
»Das wäre gut. Womit wir in aller Ruhe den Fächer der Göttin der Amaterasu suchen können.«
»Den Namen hast du gut behalten«, grinste ich.
»Ich hatte schon immer eine Schwäche für Göttinnen.«
»Laß das nur nicht Shao hören.«
»Siehst du, was ich sehe?« wechselte der Chinese das Thema.
»Den Nebel, nicht?«
»Genau.«
Er hatte sich dort gebildet, wo das Tal praktisch zu Ende war und es eine Felswand verschloß.
Ich runzelte die Stirn. »Dieser Nebel kommt nicht von ungefähr. Sein Auftauchen hat etwas zu bedeuten.«
»Ob der uns gilt?«
»Wie meinst du das?«
Der Chinese hob die Schultern. »Er will doch sicherlich etwas verschleiern, normal ist er jedenfalls nicht.«
»Ja, da hast du recht. Aber ich hege einen ganz anderen Verdacht, mein Lieber.«
»Und?«
»Dr. Tods Todesnebel!«
Als ich diese Vermutung geäußert hatte, war Suko erst einmal still.
Heute wußten wir um diesen gefährlichen Nebel Bescheid, der aus dem Würfel des Unheils entstand und Menschen zu Skeletten machte, wenn sie ihm ungeschützt gegenübertraten. Egal, woher der Nebel auch stammte, für uns war er eine Warnung. Und zum Glück hatten wir ihn rechtzeitig entdeckt, so daß wir uns auf ihn einstellen konnten. »Wir müssen runter«, sagte Suko, »es bleibt uns leider nichts anderes übrig.«
Das brauchte er mir nicht erst zu sagen. Einen Weg gab es nicht. Daran hatten wir uns bereits gewöhnt. Wir würden es auch so schaffen, hinunterzuklettern. »John!« sagte Suko plötzlich.
Mich schreckte seine Anrede auf. Ich schaute meinen Freund an. Er wies hinunter in das Tal.
Wenn ich genau hinsah, dann erkannte ich die beiden Gestalten. Sie bewegten sich langsam durch das Tal auf dessen Ende zu. Einer von ihnen war ein normaler Mensch,
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