Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag

Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag

Titel: Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
Vom Netzwerk:
gedämpft, aber man kann mithören. Da Harry sich meinen nächsten Schritt denken konnte, hatte er Midoris Anschluss überprüft und mir mitgeteilt, dass wir loslegen konnten.
    Um zehn Uhr morgens am folgenden Samstag betrat ich das Cafe Aoyama Blue Mountain auf der Omotesando-dori, ausgerüstet mit einem kleinen Gerät, das Midoris Telefon aktivieren würde, und einem Handy, um alles mithören zu können. Ich setzte mich an einen der kleinen Tische mit Blick auf die Straße und bestellte bei einer gelangweilt dreinblickenden Kellnerin einen Espresso. Während ich die wenigen Passanten beobachtete, die so früh schon unterwegs waren, schaltete ich das Gerät ein und hörte ein leises Zischen in der Ohrmuschel, was bedeutete, dass die Verbindung hergestellt war. Ansonsten war es still. Ich konnte nur warten.
    Einige Meter vom Eingang des Blue Mountain entfernt reparierte ein Bautrupp Schlaglöcher in der Straße. Vier Arbeiter schaufelten Schotter – bestimmt zwei Männer mehr als nötig, aber die Yakuza, die japanische Mafia, hat ihre Finger in der Baubranche und verlangt, dass alle Arbeiter beschäftigt werden. Die Regierung ist froh über diese zusätzliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und lässt es geschehen. So bleibt die Arbeitslosigkeit im sozial erträglichen Rahmen. Und alles geht weiter seinen gewohnten Gang.
    Als Staatssekretär im Kokudokotsusho musste Midoris Vater für den Straßenbau und die meisten größeren staatlichen Bauprojekte in ganz Japan zuständig gewesen sein. Ganz sicher hatte er hüfttief im Korruptionssumpf gesteckt. Keine große Überraschung, dass jemand ihm zu einem verfrühten Ableben verhelfen wollte.
    Zwei Männer mittleren Alters in schwarzem Anzug und Krawatte, modernem japanischen Begräbnisoutfit, verließen das Cafe, und der Duft von heißem Teer wehte zu meinem Tisch herüber. Der Geruch erinnerte mich an meine Kindheit in Japan, an die Spätsommer, wenn meine Mutter mich am ersten Tag nach den Ferien zur Schule brachte. Um diese Jahreszeit wurden unweigerlich die Straßen neu geteert, und die Gerüche sind für mich noch immer wie ein böses Omen, dass mir wieder Schikanen und Ausgrenzungen bevorstanden.
    Manchmal habe ich das Gefühl, dass mein Leben in einzelne Segmente zerfällt. Ich würde sie Kapitel nennen, aber die Teile sind so scharf getrennt, dass dem Ganzen der rote Faden fehlt, der verschiedene Kapitel eigentlich verbindet. Das erste Segment endete mit dem Tod meines Vater, einem Ereignis, das eine Welt aus Vorhersagbarkeit und Sicherheit zerstörte und sie durch eine der Verletzbarkeit und Furcht ersetzte. Ein weiterer Einschnitt war das kurze Telegramm, in dem mir die Armee mitteilte, dass meine Mutter gestorben sei, und mir für ihre Beisetzung Heimaturlaub gewährte. Mit meiner Mutter verlor ich ein emotionales Gravitationszentrum, eine ferne psychische Lenkerin meines Verhaltens, so dass ich plötzlich von einem neuen und schrecklichen Freiheitsgefühl durchdrungen wurde. Kambodscha war ein weiterer Bruch, ein Schritt tiefer in die Dunkelheit.
    Seltsamerweise stellt die Zeit, als meine Mutter mit mir von Japan in die Vereinigten Staaten ging, keine Trennlinie dar, weder damals noch heute. Ich war in beiden Ländern ein Außenseiter, und der Umzug bestätigte diesen Status bloß. Auch von meinen späteren geographischen Streifzügen war keiner besonders prägend. Nach Crazy Jakes Beerdigung zog ich zehn Jahre lang als Söldner durch die Weltgeschichte, forderte die Götter heraus, mich zu töten, überlebte jedoch, weil ein Teil von mir bereits tot war.
    Ich kämpfte an der Seite von libanesischen Christen in Beirut, als die CIA mich anwarb, die Mudschaheddin-Guerilla für den Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan zu trainieren. Ich war genau der Richtige: Kampferfahrung und eine Geschichte als Söldner, was eine optimale Voraussetzung für Dementis von Regierungsseite war.
    Für mich war immer irgendein Krieg im Gange, und die Zeit davor kommt mir unwirklich vor, wie ein Traum. Der Krieg ist die Grundlage, von der aus ich alles andere angehe. Der Krieg ist das Einzige, wovon ich wirklich etwas verstehe. Kennen Sie das buddhistische Gleichnis? «Ein Mönch erwacht aus einem Traum, in dem er ein Schmetterling gewesen ist, und er fragt sich, ob er nicht vielleicht ein Schmetterling sei, der träume, ein Mensch zu sein.»
    Um kurz nach elf hörte ich in Midoris Wohnung Bewegungsgeräusche. Schritte, dann fließendes Wasser, die Dusche, wie ich schloss.

Weitere Kostenlose Bücher