Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
verraten», sagte sie.
«Fujiwara Junichi», erwiderte ich und verbeugte mich automatisch. Fujiwara war der Nachname meines Vaters.
Sie verbeugte sich ebenfalls. «Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Fujiwara-san.»
«Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Tsuta», sagte ich lächelnd, und wir gingen.
Während wir zum Tsuta spazierten – keine fünf Minuten -, plauderten wir darüber, wie sehr sich die Stadt mit den Jahren verändert hatte und dass wir uns nach der Zeit zurücksehnten, als der Boulevard vor dem Yoyogi-Park sonntags für Autos gesperrt war und dort immer kostümierte Leute ausgelassen feierten, als der japanische Jazz in unzähligen Kellerbars und Kneipen neu entstand, als es in Shinjuku noch kein hypermodernes Rathaus gab und die Gegend noch vor echter Sehnsucht und Romantik und Elan strotzte. Es machte mir Spaß, mich mit ihr zu unterhalten, aber gleichzeitig war mir schwach bewusst, dass es etwas Seltsames und beinahe Unerwünschtes war.
Wir hatten Glück, und einer der zwei Tische im Tsuta, von denen man jeweils durch ein großes Panoramafenster in den versteckten Garten blicken kann, war frei und wartete auf uns. Wenn ich allein da bin, sitze ich gern an der Theke und schaue Koyama-san staunend bei der ehrfürchtigen Kaffeezubereitung zu, aber heute wollte ich eine Atmosphäre, die einer Unterhaltung förderlicher war. Wir bestellten jeder den Haus-Mokka, eine starke, dunkle Röstung, und saßen im rechten Winkel zueinander, damit wir beide den Garten sehen konnten.
«Wie lange leben Sie schon in Tokio?», fragte ich, als wir es uns gemütlich gemacht hatten.
«Mit Unterbrechungen eigentlich schon immer», sagte sie und rührte einen Löffel Zucker in ihren Mokka. «Als Kind habe ich ein paar Jahre im Ausland gelebt, aber die meiste Zeit bin ich in Chiba aufgewachsen, einer Kleinstadt nicht weit von hier. Als Teenager bin ich ständig nach Tokio gefahren und habe versucht, mich in die Jazzkeller zu schleichen, um die Livebands zu hören. Dann war ich vier Jahre in New York und habe an der Julliard studiert. Danach bin ich zurück nach Tokio. Und Sie?»
«Genau wie bei Ihnen – ich wohne auch schon mein ganzes Leben hier, mit einigen Unterbrechungen.»
«Und wo haben Sie gelernt, mit einem überzeugenden New Yorker Akzent Kaffee zu bestellen?»
Ich nahm einen Schluck von der bitteren Flüssigkeit und überlegte, was ich antworten sollte. Ich gebe nur selten Persönliches von mir preis. Die Dinge, die ich getan habe und noch immer tue, haben mich gebrandmarkt, genau wie Crazy Jake es prophezeit hatte, und auch wenn das Brandzeichen für die meisten nicht sichtbar ist, bin ich mir seiner stets bewusst. Intimität bin ich nicht mehr gewohnt. Und vielleicht, wie ich manchmal mit einem gewissen Bedauern denke, ist sie mir auch nicht mehr möglich.
Ich hatte in Japan keine richtige Beziehung mehr, seit ich ein Schattendasein führe. Es gab ab und zu eine Frau, oberflächliche Bekanntschaften von meiner Seite aus. Tatsu und einige andere Freunde, die ich nicht mehr sehe, hatten mich manchmal mit Frauen verkuppeln wollen, die sie kannten. Aber was hätten solche Beziehungen für eine Zukunft, wenn die beiden Themen, die mich vor allen Dingen ausmachen, nicht erwähnt werden dürfen, tabu sind? Man stelle sich das Gespräch vor: «Ich war als Soldat in Vietnam.» -«Wieso denn das?» – «Ich bin Halbamerikaner, ein Bastard.»
In der Mizu Shobai, der Wasserbranche, wie Japan seine Halbwelt nennt, gibt es ein paar Frauen, die ich von Zeit zu Zeit sehe. Wir kennen einander so lange, dass die Dinge nicht mehr auf direkter Bargeldbasis abgehandelt werden, für die erforderliche Entlohnung und Atmosphäre sorgen teure Geschenke, und es gibt sogar eine gewisse gegenseitige Zuneigung. Sie alle denken, ich sei verheiratet, was es mir leicht macht, die komplizierten Sicherheitsvorkehrungen zu erklären, die ich selbstverständlich treffe. Und es erklärt ebenfalls, dass ich stets ohne Vorankündigung auftauche und wieder verschwinde und mich, was mein Privatleben betrifft, bedeckt halte.
Aber Midori hielt sich auch bedeckt, und sie hatte ihre Verschwiegenheit gebrochen, indem sie mir ein wenig von ihrer Kindheit erzählte. Ich wusste, dass ich mich entsprechend öffnen musste, wenn ich mehr über sie erfahren wollte.
«Ich bin in beiden Ländern aufgewachsen», sagte ich nach einer langen Pause. «Ich habe nie in New York gewohnt, aber ich habe einige Zeit dort verbracht und ich kenne mich ein bisschen
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