Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
mit den Akzenten aus, die in der Gegend gesprochen werden.»
Ihre Augen wurden größer. «Sie sind in Japan und den Vereinigten Staaten aufgewachsen?»
«Ja.»
«Wie kommt das?»
«Meine Mutter war Amerikanerin.»
Ich merkte, dass ihr Blick eine Spur eindringlicher wurde, als sie jetzt in meinem Gesicht nach den westlichen Zügen suchte. Man kann sie noch immer sehen, wenn man weiß, wonach man sucht.
«Man sieht es Ihnen nicht unbedingt an. Ich meine, Sie haben bestimmt die Gesichtszüge Ihres Vaters geerbt.»
«Das stört manche Leute.»
«Was stört sie?»
«Dass ich japanisch aussehe, aber in Wirklichkeit etwas anderes bin.»
Ich musste kurz daran denken, als ich zum ersten Mal das Wort Ainoko hörte, Halbblut. Es war in der Schule, und am Abend fragte ich meinen Vater, was es bedeutete. Er blickte finster und sagte nur: « Taishita koto nai.» Es hat nichts zu sagen. Aber kurz darauf hörte ich das Wort wieder, als ich von den Ijemekko, den Schlägern an der Schule, verprügelt wurde, und ich zählte eins und eins zusammen.
Sie lächelte. «Ich weiß nicht, wie es anderen geht. Ich jedenfalls finde die Stelle, wo sich die Kulturen überschneiden, am interessantesten.»
«Ja?»
«Ja. Zum Beispiel den Jazz. Wurzeln im schwarzen Amerika, Zweige in Japan und auf der ganzen Welt.»
«Sie sind ungewöhnlich. Japaner sind normalerweise Rassisten.» Ich merkte, dass mein Tonfall bitterer war, als ich beabsichtigt hatte.
«Ich würde nicht sagen, dass das Land sehr rassistisch ist. Es war einfach so lange isoliert, und wir haben Angst vor allem Neuen oder Unbekannten.»
Normalerweise ärgert mich ein solcher Idealismus, wenn alle Fakten dagegensprechen, aber ich begriff, dass Midori bloß ihre positive Grundhaltung auf alle um sie herum übertrug. Als ich in ihre dunklen, ernsten Augen blickte, musste ich einfach lächeln. Sie lächelte ebenfalls, ihre vollen Lippen teilten sich, ihre Augen leuchteten heller, und ich musste den Blick abwenden.
«Wie war das, so aufzuwachsen, in zwei Ländern, zwei Kulturen?», fragte sie. «Das muss faszinierend gewesen sein.»
«Eigentlich ganz normal», sagte ich automatisch.
Sie hielt inne, ihren Mokka auf halbem Weg zu den Lippen. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas ‹ganz normal› gewesen ist.»
Vorsicht, John. « Nein. Ehrlich gesagt, es war schwierig. Es ist mir ganz schön schwer gefallen, mich irgendwo einzugewöhnen.»
Der Mokka stieg weiter nach oben, und sie nahm einen Schluck. «Wo haben Sie länger gelebt?»
«Ich war in Japan, bis ich ungefähr zehn war, danach überwiegend in den Staaten. Anfang der achtziger Jahre bin ich dann hierher zurückgekommen.»
«Um wieder bei Ihren Eltern zu sein?»
Ich schüttelte den Kopf. «Nein. Die waren damals beide schon nicht mehr da.»
Mein Tonfall ließ keinen Zweifel an den Worten nicht mehr da, und sie nickte mitfühlend. «Waren Sie noch sehr jung?»
«Gerade in der Pubertät», sagte ich, noch immer bewusst vage, wo es möglich war.
«Wie schrecklich, so jung beide Eltern zu verlieren. Hatten Sie ein enges Verhältnis zu ihnen?»
Eng? Obwohl mein Gesicht die Spur seiner asiatischen Gesichtszüge trug und er eine Amerikanerin geheiratet hatte, glaube ich, dass Rasse für meinen Vater, wie für die meisten Japaner, überproportional wichtig war. Die Schikanen, denen ich in der Schule ausgesetzt war, erzürnten und beschämten ihn gleichermaßen.
«Ziemlich eng, glaube ich. Sie sind schon so lange tot.»
«Haben Sie vor, irgendwann wieder nach Amerika zurückzugehen?»
«Das hatte ich mal», sagte ich und dachte daran, wie ich unaufhaltsam in die Arbeit hineingezogen worden war, die ich nun schon, wie es mir vorkam, eine Ewigkeit tat. «Nachdem ich als Erwachsener wieder hierher gekommen war, habe ich zehn Jahre lang unentwegt gedacht, ich würde nur noch ein Jahr bleiben und dann zurückgehen. Jetzt denke ich eigentlich nicht mehr darüber nach.»
«Fühlen Sie sich in Japan zu Hause?»
Ich musste daran denken, was Crazy Jake zu mir gesagt hatte, kurz bevor ich tat, worum er mich gebeten hatte. Für uns gibt es kein Zuhause mehr, John. Nicht nach dem, was wir getan haben.
«Es ist mein Zuhause geworden, denke ich», sagte ich nach einer langen Weile. «Und Sie? Würden Sie gern wieder in Amerika leben?»
Sie klopfte sachte gegen die Mokkatasse, ihre Finger, vom kleinen bis zum Zeigefinger, trommelten gegen das Porzellan, und ich dachte, sie spielt ihre Stimmungen. Was würden meine
Weitere Kostenlose Bücher