Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
leicht angewinkelt und nicht gerade hinter den Gegner schiebt; ein junger Sadan, schwarzer Gürtel dritten Grades, der vor vier Jahren seine Heimat Iran verließ, um im Kodokan zu trainieren, und seitdem so gut wie keinen Trainingstag verpasst hat, übt seine O-soto-gari mit solcher Präzision und Unermüdlichkeit, dass seine Bewegungen schließlich einer unermesslichen Naturkraft ähneln, etwa der Bewegung des Gezeitenstroms, dem Tänzer, der zum Tanz wird; ein junger Student, der leise weint, nachdem er im Wettkampf besiegt worden ist, während die Zuschauer den Sieger bejubeln, ohne den ehrbaren Tränen des Verlierers Beachtung zu schenken.
Die Achterbahn gab wieder ihr vertrautes Knarren von sich, während der Himmel darüber immer dunkler wurde. Es war nach sieben, zu spät, um noch ins Blue Note zu fahren. Auch gut.
9
AM NÄCHSTEN TAG hatte ich nichts Besonderes vor, also beschloss ich, einem meiner Lieblingsantiquariate in Jinbocho einen Besuch abzustatten. Der Stadtteil ist bekannt für seine zahlreichen übervollen Buchläden, von denen einige auf asiatische, andere auf westliche Literatur spezialisiert sind. Der Antiquar hatte mir ein paar Tage zuvor via Pager mitgeteilt, dass er für mich ein altes Buch über Shimewaza – Würgegriffe – aufgetrieben hatte, nach dem ich schon geraume Zeit suchte, um meine bescheidene Sammlung über die Bugei, die Kriegskünste, zu bereichern.
An der U-Bahn-Station Sengoku stieg ich in die Mita-Bahn. Manchmal fahre ich mit der U-Bahn; manchmal nehme ich auch von Sugamo aus den Zug. Es ist gut, unberechenbar zu bleiben. Heute bettelte ein Priester im Shinto-Gewand vor dem Bahnhof um Almosen. In letzter Zeit waren diese Burschen fast überall anzutreffen, nicht mehr nur vor dem Parlament. Ich fuhr mit der Bahn in Richtung Onarimon und stieg in Jinbocho aus. Ich wollte den Ausgang nehmen, der dem Buchladen Isseido am nächsten lag, geriet aber, weil ich in Gedanken bei Midori und Kawamura war, in den falschen Gang. Nachdem ich um eine Ecke gebogen war und ein Schild mit der Aufschrift Hanzomon-Linie gesehen hatte, erkannte ich meinen Irrtum, machte kehrt und ging wieder zurück um die Ecke.
Ein dicklicher Japaner kam schnell den Korridor entlang, etwa zehn Meter entfernt. Ich blickte ihm kurz in die Augen, als er näher kam, doch er ignorierte mich und sah stur geradeaus. Er trug einen Nadelstreifenanzug und ein gestreiftes Hemd. Bestimmt hatte er irgendwo gehört, dass Streifen einen größer erscheinen lassen.
Ich senkte den Blick und sah, warum ich ihn nicht hatte kommen hören: billige Schuhe mit Gummisohlen. Aber er trug einen teuer aussehenden schwarzen Aktenkoffer, ein Lidover-Modell, vielleicht von Swain Adeney. Ein Geschäftsmann, der bei Aktenkoffern auf Qualität achtete, aber davon ausging, dass niemandem seine Schuhe auffallen würden? Vielleicht. Aber in dem Viertel hier wurden eigentlich keine großen Geschäfte gemacht – Kasumigaseki oder Akasaka wären da schon naheliegender. Ich wusste, die Schuhe wären bei einem langen Fußmarsch sehr bequem – zum Beispiel, wenn man jemanden beschattete.
Abgesehen von dem Aktenkoffer waren seine Hände leer, aber ich verkrampfte mich dennoch, als wir aneinander vorbeigingen. Irgendetwas an ihm irritierte mich. Ich verlangsamte meinen Schritt ein wenig, als wir einander passierten, blickte dann über die Schulter, um mir zu merken, wie er ging. Gesichter sind leicht zu verändern, Kleidung kann man binnen einer Minute wechseln, aber nur wenige Menschen können ihren Gang verändern. Deshalb achte ich immer darauf. Ich beobachtete, wie der Typ ging -kleine Schritte, ein leicht übertriebenes, selbstgefälliges Armschwingen, ein unmerkliches Wackeln des Kopfes von einer Seite zur anderen -, bis er um die Ecke bog.
Ich ging hinüber zu dem anderen Ausgang, blickte mich noch einmal um, bevor ich den Bahnhof verließ. Wahrscheinlich hatte es nichts zu bedeuten, aber ich würde mich an sein Gesicht und seinen Gang erinnern, wie immer auf der Hut sein und sehen, ob er wieder auftauchte.
Grundlagen des Würgegriffs war, wie versprochen, in einem ausgezeichneten Zustand und entsprechend teuer, aber ich wusste, dass ich viel Freude an dem schmalen Bändchen haben würde. Obwohl ich rasch wieder gehen wollte, wartete ich geduldig, während der Antiquar das Buch sorgfältig, fast feierlich in dickes Packpapier einschlug und mit einer Kordel verschnürte. Er wusste, dass es kein Geschenk war, aber auf diese Weise brachte
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