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Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag

Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag

Titel: Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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die Vorgesetzten des ersten Mannes. Einer von ihnen sagt: ‹Man hat Ihnen im Auftrag des Oberbefehlshabers der Streitkräfte der Vereinigten Staaten einen klaren Befehl erteilt. Führen Sie den Befehl aus, sonst müssen Sie die Konsequenzen tragen.›
    Ich bin also zurück zu meinen Leuten, um die Sache mit ihnen zu besprechen. Sie bewachten die Dorfbewohner. Ich erzählte ihnen, was ich gerade gehört hatte. Bei den meisten hatte es die gleiche Wirkung wie bei mir: Es brachte sie wieder auf den Teppich, machte ihnen Angst. Aber ein paar reagierten ganz aufgeregt. ‹Das gibt's doch gar nicht›, sagten sie. ‹Wir kriegen den Befehl, die zu erledigen? Wahnsinn.› Aber noch immer zögerten alle.
    Ich hatte damals einen Freund, Jimmy Calhoun, den alle nur Crazy Jake nannten. Er hatte sich ziemlich aus dem Gespräch rausgehalten. Und plötzlich sagte er: ‹Ihr Waschlappen, ihr Memmen. Erledigt sie heißt, erledigt sie.› Und dann fing er an, die Dorfbewohner auf Vietnamesisch anzubrüllen: ‹Runter mit euch, alle auf den Boden! Num suyn!› Und die Leute gehorchten. Wir waren wie gebannt und fragten uns, was er vorhat. Jimmy zögert nicht einen Moment, tritt einfach zurück, legt sein Gewehr an und dann peng! , peng! fängt er an, sie zu erschießen. Es war unheimlich; nicht ein einziger hat versucht wegzulaufen. Dann brüllt einer von unseren Männern: ‹Crazy Jake, du Irrer!›, und legt auch sein Gewehr an. Und ehe ich mich's versah, waren wir alle dabei, unsere Magazine leer zu ballern, diese Menschen förmlich in Stücke zu schießen. Magazin leer, Druck, Schub, klick, neues Magazin rein und weiterfeuern.»
    Meine Stimme war noch immer ruhig, meine Augen blickten starr geradeaus, erinnerten sich. «Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, ich würde versuchen, das Ganze zu verhindern. Wirklich. Ich würde nicht mitmachen. Und die Erinnerungen verfolgen mich. Seit fünfundzwanzig Jahren bin ich auf der Flucht, aber im Grunde könnte ich genauso gut versuchen, meinen eigenen Schatten abzuschütteln.»
    Es trat eine lange Stille ein, und ich stellte mir vor, dass sie dachte, sie habe mit einem Monster geschlafen.
    «Ich wünschte, du hättest es mir nicht erzählt», sagte sie und bestätigte damit meinen Verdacht.
    Ich zuckte die Achseln, fühlte mich leer. «Vielleicht ist es besser, dass du es weißt.»
    Sie schüttelte den Kopf. «Das habe ich nicht gemeint. Es ist eine Geschichte, die fassungslos macht. Es macht mich fassungslos, was du erlebt hast. Ich hab mir Krieg nie so ... persönlich vorgestellt.»
    «Und ob es persönlich war. Auf beiden Seiten. Die Nordvietnamesen verliehen spezielle Orden für die Tötung eines Amerikaners. Der abgetrennte Kopf galt als Beweis. Für die Tötung eines SOG-Mannes gab es sogar eine Prämie von zehntausend Piastern – das Mehrfache des Monatssoldes.»
    Sie berührte erneut mein Gesicht, und ich sah tiefes Mitgefühl in ihren Augen. «Du hattest Recht. Du hast wirklich Entsetzliches durchgemacht. Ich hatte ja keine Ahnung.»
    Ich nahm ihre Hände und zog sie sanft weg. «He, das Beste hab ich dir noch gar nicht erzählt. Die Information vom Nachrichtendienst, das Dorf sei eine Vietcong-Hochburg... Falsch. Kein Tunnelsystem, keine Reis- oder Waffenlager.»
    «Sonna, sonna koto ...», sagte sie. «Du meinst... aber John, das konntest du doch nicht wissen.»
    Ich zuckte die Achseln. «Nicht mal irgendwelche verräterischen Reifenspuren, im Ernst, wenigstens danach hätten wir ja wohl erst mal suchen können, bevor wir angefangen haben, die Leute abzuschlachten.»
    «Aber ihr wart so jung. Ihr müsst doch vor Angst, vor Wut wie von Sinnen gewesen sein.»
    Ich spürte, dass sie mich ansah. Es war gut. Nach all den Jahren klangen die Worte hohl in meinen Ohren, bloß Geräusche ohne jeden Gehalt.
    «Hast du das am ersten Abend gemeint?», fragte sie. «Als du gesagt hast, du seist kein verständnisvoller Mensch?»
    Ich erinnerte mich, dass ich das zu ihr gesagt hatte, erinnerte mich, dass sie den Eindruck erweckt hatte, als wollte sie nachfragen, als hätte sie es sich dann aber anders überlegt. «Eigentlich nicht. Ich dachte dabei an andere, nicht an mich selbst. Aber es trifft wohl auch auf mich zu.»
    Sie nickte langsam und sagte dann: «Ich hab eine Freundin noch aus meiner Zeit in Chiba. Sie heißt Mika. Als ich in New York war, hatte sie einen Autounfall. Sie hat ein kleines Mädchen überfahren, das auf der Straße spielte. Mika fuhr fünfundvierzig Kilometer in der

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