Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
einfach immer weiter, und die Einsätze wurden immer waghalsiger.
Ich war einer der jüngsten One-Zeros – so nannte man die Truppenführer der SOGs. Meine Kameraden und ich hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Manchmal mussten wir es mit zwölf Mann gegen eine Division der Nordvietnamesen aufnehmen, und ich wusste trotzdem, dass keiner von uns abhauen würde.
Und die anderen wussten das auch von mir. Kannst du dir vorstellen, wie das für jemanden ist, der als Kind immer nur ein Außenseiter war, weil er ein Mischling ist?»
Ich redete schneller. «Es ist mir egal, wer was ist. Wer so tief in Blut und Dreck watet, bleibt nicht sauber. Manche sind labiler als andere, aber irgendwann dreht jeder durch. Da werden zwei von deinen Männern von einer Mine in Stücke gesprengt, die Beine vom Körper gerissen, und du hältst das, was in den letzten Augenblicken ihres Lebens noch von ihnen übrig ist, in den Armen und sagst: ‹He, das wird schon wieder, du kommst wieder in Ordnung›, sie weinen, und du weinst, und dann sind sie tot. Und dann gehst du weiter, bedeckt mit ihren Innereien.
Auch du legst Sprengfallen aus – das war eine von unseren Spezialitäten, wie du mir, so ich dir -, aber ihr seid nur zu zwölft, und so einen Zermürbungskrieg könnt ihr nicht gewinnen, auch wenn ihr den Feind mehr bluten lasst als umgekehrt. Du hast mehr Verluste, und der Frust – die Wut, die unterdrückte, alles erstickende Wut – baut sich immer mehr und mehr auf. Und dann gehst du eines Tages durch ein Dorf, hast die Macht über Leben und Tod, schwenkst deine Waffe hin und her, hin und her, die Mündung nach vorn. Du bist in einer erklärten Free-Fire-Zone, und das heißt, dass jeder, der nicht eindeutig als Freund zu erkennen ist, als Vietcong gilt und entsprechend behandelt wird. Und du hast Informationen, dass dieses Dorf eine Brutstätte für Vietcong-Aktivitäten ist, dass von hier aus der halbe Sektor versorgt wird, dass hier Waffen zwischengelagert werden, die über den Ho-Chi-Minh-Pfad nach Süden kommen. Die Leute starren dich mürrisch an, und irgendein altes Weib sagt: ‹He, du Scheißkerl, ihr seid der letzte Dreck›, irgend so einen Mist. Ich meine, du hast die Info vom Nachrichtendienst. Und zwei Stunden vorher hast du schon wieder einen Kumpel durch eine Sprengfalle verloren. Glaub mir, irgendwer muss dafür bezahlen.»
Ich atmete zweimal tief durch. «Sag mir, ich soll aufhören, sonst rede ich immer weiter.»
Midori schwieg.
«Das Dorf hieß Cu Lai. Wir trieben alle Leute zusammen, etwa vierzig oder fünfzig, einschließlich Frauen und Kindern. Wir brannten ihre Häuser vor ihren Augen nieder. Wir erschossen ihre Tiere, massakrierten die Schweine und Kühe. Stellvertretend, verstehst du? Als Katharsis. Es war nicht kathartisch genug.
Aber was sollten wir nun mit den Menschen machen? Ich benutzte das Funkgerät, was man eigentlich nicht tun soll, weil der Feind dich peilen kann, deine Position feststellen kann. Aber was sollten wir mit diesen Leuten machen? Wir hatten doch gerade ihr Dorf dem Erdboden gleichgemacht.
Der Typ am anderen Ende, ich weiß bis heute nicht wer, sagt: ‹Erledigen.› Damals war das unser Standardwort für töten – den und den haben sie erledigt, wir haben zehn Vietcong erledigt.
Mir verschlägt es die Sprache, und der Typ sagt noch mal: ‹Er-ledigen.› Das ist wirklich beängstigend. Es ist eine Sache, kurz davor zu sein, einen impulsiven Mord zu begehen. Aber es ist etwas völlig anderes, diesen Impuls von oben auch noch seelenruhig sanktioniert zu bekommen. Auf einmal kriege ich es mit der Angst, weil mir klar wird, wie nah dran wir waren. Ich sage: ‹Wen erledigen?› Er sagt: ‹Alle wie sie da sind. Jeden Einzelnen.› Ich sage: ‹Ich spreche hier von rund vierzig, fünfzig Menschen, darunter auch Frauen und Kinder. Verstehen Sie das?› Der Kerl sagt wieder: Erledigt sie einfach.› – ‹Dürfte ich Ihren Namen und Rang erfahren?›, sage ich, denn auf einmal will ich diese Leute nicht töten, nur weil mir eine Stimme über Funk den Befehl erteilt. -Junger Mann›, sagt die Stimme, ‹ich garantiere Ihnen, wenn ich Ihnen meinen Rang verrate, machen Sie sich vor Angst in die Hose. Ihr befindet euch in einer offiziellen Free-Fire-Zone. Und jetzt tun Sie, was ich Ihnen sage.›
Ich erwidere, ich würde gar nichts tun, solange ich nicht wüsste, ob er überhaupt Befehlsgewalt hätte. Dann höre ich zwei andere Stimmen über Funk. Die beiden behaupten, sie seien
Weitere Kostenlose Bücher