Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
zu erreichen sind, sie brauchten also nur genügend Leute an genügend Plätzen über einen genügend langen Zeitraum zu postieren. Verflucht, die haben mich kalt erwischt.»
Eines musste ich ihnen lassen: Das hatten sie gut hingekriegt. Es ist praktisch unmöglich, eine statische Überwachung zu entdecken, weil man seine Beschatter, anders als bei einer beweglichen Überwachung, nicht dazu bringen kann, sich durch auffällige Verhaltensweisen zu verraten. Das ist wie mit der Zonendeckung beim Basketball: Egal, wohin der Spieler mit dem Ball geht, in jeder Zone übernimmt ein neuer Gegenspieler die Deckung. Es funktioniert, wenn man genug Leute hat, und es ist todsicher.
«Worauf basiert diese Shinto-Verbindung?»
«Shinto ist ja eine riesige Organisation mit einem Heer von Priestern, die auf landesweiter, regionaler und sogar nachbarschaftlicher Ebene für die Schreine zuständig sind. Folglich kriegen die Schreine auch reichlich Spenden und stehen finanziell gut da – sie sind also imstande, Politiker, die ihnen genehm sind, zu unterstützen. Und Yamaoto möchte die Rolle des Shinto in Japan erheblich stärken, was den Priestern mehr Macht verschaffen würde.»
«Dann wird er also auch durch die Schreine finanziert?»
«Ja, aber es steckt noch mehr dahinter. Shinnento hat den Shinto in ihr Programm aufgenommen. Sie will, dass die Shinto-Lehre in den Schulen unterrichtet wird; sie will zwischen der Polizei und den örtlichen Schreinen ein Bündnis zur Verbrechensabwehr schließen. Vergiss nicht, der Shinto war vor dem Zweiten Weltkrieg der Mittelpunkt des japanischen Nationalismus. Es gibt ihn nur in Japan, und er lässt sich leicht so auslegen – wurde auch schon so ausgelegt -, dass er den fremdenfeindlichen Kult der japanischen Seele, Yamato Gokoro, bedient. Und derzeit erlebt er in Japan wieder einen Aufschwung, obwohl nicht viele Leute außerhalb des Landes davon etwas mitbekommen.»
«Du hast gesagt, ihre Parteizentrale ist in Shibakoen?», vergewisserte ich mich.
«Ja, genau.»
«Also dann. Du versuchst weiter, den Code zu knacken, und ich brauche derweil einiges Überwachungsgerät – Infrarot und Laser. Und Video. Außerdem ein Mikro mit Sender, falls ich es schaffe reinzukommen. Ich möchte unsere Shinnento-Freunde in ihrer Zentrale belauschen.»
«Wieso?»
«Ich brauche mehr Informationen. Von wem stammt die CD ursprünglich? Wer will sie wiederhaben? Warum? Solange ich das nicht weiß, kann ich mich kaum schützen. Und Midori auch nicht.»
«Du musst ziemlich nah an das Gebäude ran, um die Geräte einsetzen zu können, ganz zu schweigen davon, dort eine Wanze zu platzieren. Das wird gefährlich. Lass mir doch lieber noch ein bisschen Zeit mit dem Code. Vielleicht ist ja alles, was du brauchst, auf der CD.»
«Ich habe aber keine Zeit. Unter Umständen brauchst du eine Woche für den Code oder schaffst es vielleicht gar nicht, ihn zu knacken. In der Zwischenzeit hab ich es mit der CIA, der Yakuza und einer Armee von Shinto-Priestern zu tun. Sie wissen, wo ich wohne, und ich bin aufgeflogen. Die Zeit arbeitet gegen mich – ich muss die Sache rasch zu Ende bringen.»
«Tja, dann verlass doch einfach das Land. Zumindest bis ich mit dem Code fertig bin. Was hält dich hier?»
«Erstens muss ich mich um Midori kümmern, und sie kann nicht weg. Ich möchte nicht, dass sie mit ihrem eigenen Pass reist, und ich bezweifele, dass sie falsche Papiere parat hat.»
Er nickte, als würde er verstehen, und sah mich dann forschend an. «Läuft da was zwischen euch?»
Ich antwortete nicht.
«Hab ich mir doch gedacht», sagte er und wurde rot.
«Ich hätte mir denken können, dass ich dir nichts vormachen kann.»
Er schüttelte den Kopf. «Willst du deshalb nicht, dass sie mir bei der CD hilft?»
«Bin ich so leicht zu durchschauen?»
«Normalerweise nicht.»
«Also schön, ich frag sie», sagte ich, weil ich keine Alternative sah.
«Ich könnte ihre Hilfe wirklich gebrauchen.»
«Weiß ich doch. Keine Sorge. Im Grunde hab ich auch gar nicht erwartet, dass du so was Kniffliges ohne fremde Hilfe entschlüsseln kannst.»
Einen winzigen Moment lang verzog sich sein Mund empört nach unten. Dann sah er mein Schmunzeln.
«Reingefallen», sagte ich zu ihm.
17
HARRY MIETETE für mich unter einem anderen Namen in Roppongi einen Lieferwagen, während ich in seiner Wohnung wartete, um mich möglichst wenig sehen zu lassen. Seine Wohnung ist ein seltsamer Ort, voll gestopft mit rätselhaften
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