Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
elektronischen Geräten, aber ohne irgendwelche Dinge, die sein Leben behaglicher machen könnten. Vor einigen Jahren hat er mir mal erzählt, er habe gelesen, dass die Polizei Marihuana-Dealern, die das Zeug bei sich zu Hause anbauten, durch Überprüfung ihrer Stromrechnungen auf die Spur gekommen sei – offenbar verbrauchen Hydrokulturgeräte deutlich mehr Strom als normale Haushaltsgeräte -, und jetzt befürchtet Harry, auf diese Weise könnte die Polizei auch auf ihn kommen. Deshalb benutzt er nur Elektrogeräte, die unbedingt nötig sind, eine Kategorie, in die in Harrys Welt weder Kühlschrank noch Heizung noch Klimaanlage fallen.
Als er mit dem Wagen kam, luden wir die Ausrüstung ein. Hochmodernes Zeug. Der Laser liest die Vibrationen von Fensterscheiben, wenn im Raum gesprochen wird, speist die Daten in einen Computer, der daraus wieder Worte zusammensetzt. Und das Infrarotgerät kann minimale Temperaturunterschiede auf Glas registrieren – wie sie Körperwärme in einem ansonsten kühlen Raum verursacht.
Als wir alles verstaut hatten, parkte ich den Wagen und machte mich auf den Rückweg nach Shibuya, natürlich nicht ohne einen gründlichen GAG durchzuführen.
Kurz nach ein Uhr war ich im Hotel. Ich hatte an einem Stand auf einer der namenlosen Seitenstraßen der Dogenzaka ein paar Sandwiches gekauft, die Midori und ich auf dem Boden sitzend aßen, während ich sie auf den neuesten Stand brachte. Ich gab ihr das Päckchen, das ich mitgebracht hatte, und schärfte ihr ein, Schal und Sonnenbrille zu tragen, wenn sie nach draußen ging. Ich gab ihr Harrys Adresse, sagte, dass sie ihre Sachen zusammenpacken und in zwei Stunden bei Harry sein sollte, wo ich auf sie warten würde.
Als ich zu Harry kam, spielte er bereits Kawamuras CD ab. Eine halbe Stunde später klingelte es an der Haustür. Harry ging zur Sprechanlage, drückte einen Knopf und sagte: « Hai.»
«Watashi desu», lautete die Antwort. Ich bin's. Ich nickte, stand auf, um einen Kontrollblick aus dem Fenster zu werfen, und Harry drückte den Knopf, der die Haustür öffnete. Dann ging er zur Wohnungstür, öffnete sie einen Spalt und spähte hinaus. Besser man sieht früh genug nach, wer kommt, damit man Zeit hat zu reagieren.
Eine Minute später öffnete er die Tür ganz und winkte Midori herein.
Ich sagte auf Japanisch zu ihr: «Das ist Harry, der Freund, von dem ich dir erzählt habe. Er ist ein bisschen schüchtern im Umgang mit Menschen, weil er immer nur am Computer sitzt. Sei nett zu ihm, dann taut er bald auf.»
«Hajimemashite», sagte Midori zu Harry und verbeugte sich. Freut mich, dich kennen zu lernen.
«Ich freue mich auch», erwiderte Harry auf Japanisch. Er blinzelte schnell, ein Zeichen dafür, dass er nervös war. «Hör nicht auf das, was er sagt. Die Regierung hat während des Krieges neu entwickelte Drogen an ihm getestet und dadurch ist er frühzeitig senil geworden.»
Harry?, dachte ich, beeindruckt von seiner Schlagfertigkeit.
Midori verzog keine Miene und sagte: «Ach so, jetzt wird mir einiges klar.»
Sie fand gleich den richtigen Ton bei ihm, was mich freute. Harry blickte mich mit einem strahlenden Lächeln an, weil er mich endlich mal ausgestochen hatte und vielleicht auch weil er eine Verbündete gefunden hatte.
«Schön zu sehen, dass ihr euch so gut versteht», mischte ich mich ein, ehe Harry sich mit seinem neu gefundenen Mut noch zu wer weiß was hinreißen ließ. «Aber wir haben nicht viel Zeit. Der Plan sieht folgendermaßen aus.» Ich erzählte Midori, was ich vorhatte.
«Das gefällt mir nicht», sagte sie, als ich fertig war. «Sie könnten dich sehen. Es könnte gefährlich werden.»
«Kein Mensch wird mich sehen.»
«Warte doch erst mal ab, ob Harry und ich mit dem Musik-Code klarkommen.»
«Das hab ich alles schon mit Harry besprochen. Ihr beide macht eure Arbeit, ich mache meine. Das ist effektiver. Ich passe schon auf mich auf.»
Ich fuhr mit dem Wagen zur Zentrale der Shinnento in Shibakoen, südlich des Regierungsviertels Kasumigaseki. Die Partei hatte Räumlichkeiten im ersten Stock eines Gebäudes auf der Hibiya-dori, direkt gegenüber dem Shiba-Park. Ich wollte mit dem Laser das Gesprächsaufkommen in den Büros messen und anhand von Harrys Datenanalyse entscheiden, in welchem Raum oder in welchen Räumen sich das Anbringen des Mikros mit Sender am meisten lohnen würde. Der Laser würde mir zudem verraten, wann niemand mehr in den Büros war, vermutlich weit nach Einbruch der
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