Tokio Killer - 02 - Die Rache
ich mir noch nicht ganz sicher.»
Nach kurzem Schweigen sagte er: «Meine Brieftasche.»
Ich hob die Augenbrauen.
«Wo ist sie?», fragte er.
Ich lachte leise. «Die ist weg.»
«Da waren fünfzigtausend Yen drin.»
Ich nickte. «Gerade genug für ein exzellentes Menü und einen 85er Rosseau Chambertin in einem meiner Lieblingsrestaurants. Für den 70er Vega Si-cilia Uno, den ich zum Dessert getrunken habe, musste ich schon in die eigene Tasche greifen. Also bitte, wenn Sie das nächste Mal auf die Idee kommen, mich zu beschatten, stecken Sie ein paar Yen mehr ein, ja?»
Er blickte finster: «Sie haben mich ausgeraubt.»
«Mein Junge, Sie können von Glück sagen, dass Sie den Versuch, mich aufzuspüren, nicht sehr viel teurer bezahlt haben. Nun wollen wir mal sehen, ob der Mann, mit dem ich mich treffe, bereit ist, Ihnen die Hilfe zu geben, die Sie haben wollen.»
Ich nahm ihn mit zu Christie Tea & Cake, wo Tatsu sich mit mir treffen wollte. Das kurze Stück von der Harajuku-Station gingen wir zu Fuß. Der Inhaber, der sich vielleicht noch an mich und meine bevorzugten Sitzplätze erinnerte, führte uns zu einem Tisch im hinteren Teil des langen, L-förmigen Raumes, weit weg vom Fenster zur Straße.
Kanezaki bestellte einen Assam. Ich nahm Jasmintee, sowohl für mich als auch einen dritten Gast, der noch kommen würde. Ich dachte mir, nach dem Tag, den wir hinter uns hatten, würde Tatsu etwas mit wenig Koffein gut tun.
Wir machten Small Talk, während wir warteten. Kanezaki war erstaunlich redselig, vielleicht aus Nervosität angesichts der Umstände. «Wie sind Sie denn zur CIA gekommen?», fragte ich ihn.
«Ich bin Amerikaner japanischer Abstammung in der dritten Generation», erwiderte er. «Sansei. Meine Eltern sprechen Japanisch, aber zu Hause reden sie Englisch mit mir, deshalb habe ich nur das gelernt, was ich bei meinen Großeltern aufschnappen konnte. Während des Studiums habe ich einen Auslandsaufenthalt in Japan gemacht, in Nagano-ken, und ich war begeistert. Hat mich wieder zu meinen Wurzeln zurückgeführt, verstehen Sie? Danach habe ich Japanischkurse belegt und dann noch mal ein Auslandssemester gemacht. Kurz vor dem Examen hat mich auf dem Campus ein Anwerber der CIA angesprochen. Er sagte, die Agency suchte Leute mit Kenntnissen in exotischen Sprachen -Japanisch, Chinesisch, Koreanisch, Arabisch. Ich habe mir gedacht, was soll’s. Ich habe die Tests abgelegt, den Background-check bestanden, und hier bin ich.»
«Entspricht der Job Ihren Erwartungen?», fragte ich mit einem schwachen Lächeln.
«Nicht ganz. Aber ich kann mich anpassen. Vielleicht bin ich ja härter im Nehmen, als Sie glauben.»
Ich dachte an seine erstaunliche Furchtlosigkeit bei unserer ersten Begegnung, daran, wie schnell er sich wieder gefangen hatte, nachdem er mit ansehen musste, wie ich seinen Partner ausschaltete, und ich war nicht abgeneigt, ihm zu glauben.
«Wie dem auch sei», fuhr er fort, «entscheidend ist, dass ich in meinem Job die Möglichkeit habe, den Interessen beider Länder zu dienen. Das war der eigentliche Anreiz für mich.»
«Wie meinen Sie das?»
«Na ja, die USA wollen, dass Japan sich erneuert. Und Japan muss sich erneuern, hat aber aus sich heraus nicht die Möglichkeiten dazu. Daher liegt Gaiatsu vonseiten der USA im Interesse beider Länder.»
Gaiatsu bedeutet Druck von außerhalb. Ich fragte mich kurz, ob es außer Japan noch ein Land gab, das für dieses Konzept ein eigenes Wort geprägt hatte.
«Klingt idealistisch», sagte ich, und wahrscheinlich gelang es mir nicht, meine Skepsis zu verbergen.
Er zuckte die Achseln. «Mag sein. Aber wir sind jetzt eine Welt. Wenn Japans Wirtschaft den Bach runtergeht, reißt es die USA mit. Deshalb sind amerikanische Ideale und amerikanischer Pragmatismus auf der einen Seite und japanische Bedürfnisse auf der anderen praktisch deckungsgleich. Ich bin froh, dass ich mich in meiner Position für das Wohl beider Länder einsetzen kann.»
Einen kurzen Moment lang hatte ich die Vision, wie dieser Junge in zehn Jahren um den Einzug ins Weiße Haus kämpfte. «Haben Sie sich schon mal Gedanken darüber gemacht, was Sie tun würden, wenn Sie sich jemals entscheiden müssten?», fragte ich.
Er sah mich an. «Ich bin Amerikaner.»
Ich nickte. «Dann müssten Sie ja gut klarkommen, solange Amerika seinen Idealen gerecht wird.»
Der Kellner brachte unseren Tee. Einen Moment später traf Tatsu ein. Falls er verblüfft war, mich mit Kanezaki zu
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