Tokio Killer - 02 - Die Rache
eine bessere Beschattung, als es der Detektei oder sogar der CIA möglich gewesen wäre. Yukiko sollte ihm ganz dicht auf die Pelle rücken, ihn ausspionieren, um eine Spur zu mir zu finden.»
Ich sah es förmlich vor mir. Yamaoto brachte Harrys Boss vermutlich über Mittelsmänner dazu, mit Harry «feiern» zu gehen, weil ein Kunde besonders zufrieden war. Harrys Boss hatte vermutlich keine Ahnung, was das Ganze sollte, er wusste nur, wann und wo er mit Harry aufzukreuzen hatte. Dort wartete dann schon Yukiko, die sich mit der Masche, ihr Macintosh müsse neu konfiguriert werden, und mit ihren Schlafzimmeraugen an ihn ranmachte. Harry schluckte das Ganze ohne einen Hauch von Misstrauen. Er führte Yukiko und ihre Arbeitgeber schnurstracks in seine Wohnung und schließlich auch zu mir.
«Aber wieso haben sie ihn umgebracht?», fragte Kanezaki.
Ich zuckte die Achseln, dachte daran, wie Murakami geknurrt hatte, du heißt gar nicht Arai. Du heißt Rain. «Sie hatten herausgefunden, wer ich bin, und sie wussten, wo sie mich finden konnten. Von da an brauchten sie Harry nicht mehr. Und Yukiko hatte natürlich mitbekommen, was für Fähigkeiten er besaß – er war ein ehemaliger NSA-Mitarbeiter, ein begnadeter Hacker. Sie konnten sich also denken, wie nützlich er für mich war. Da empfahl es sich, ihn aus dem Spiel zu nehmen.»
Ich dachte daran, wie heftig Harry mir widersprochen hatte, wie aggressiv er auf jede Andeutung reagiert hatte, dass Yukiko ihn hinterging. Ich seufzte. «Wahrscheinlich haben sie so auch rausgefunden, wer ich bin», sagte ich. «Klar, Harry und ich haben uns wegen der Frau gestritten. Wahrscheinlich hat er ihr erzählt, dass er einen Freund hat, der dies und das behauptet hat, ein Freund, der erst kürzlich mit ihrem Boss zusammen im Damask Rose war. Da konnten sie zwei und zwei zusammenzählen. Oder sie haben Yamaoto das Video aus dem Club vorgespielt, und der kennt mein Gesicht. Egal. Sobald sie Bescheid wussten, hatte Harry ausgedient.»
Ein langes Schweigen trat ein. Dann sagte Tatsu: «Kanezaki-san, was schlagen Sie vor?»
Kanezaki blickte ihn unsicher an. «Na ja, eigentlich wollte ich, dass jemand von außerhalb der CIA heute Abend für mich die Gegenaufklärung macht. Damit ich weiß, ob ich beschattet werde, ob man mich reinlegen will, was auch immer. Aber nicht Sie. Sie sind …»
Tatsu lächelte. «Ich bin die Keisatsucho.»
«Eben. Es geht nicht, dass das japanische FBI ein CIA-Treffen mit einer wichtigen Kontaktperson beobachtet.»
«Ich dachte, das Treffen heute Abend sei fiktiv und sollte nur dazu dienen, Ihre Theorie zu überprüfen, dass irgendwer Ihren Kontaktpersonen schaden will.»
«Es ist ja auch fiktiv. Aber ich habe ein Formular eingereicht, auf dem steht, dass es real ist. Wenn ich mit Ihnen erwischt würde, wären die Konsequenzen dieselben.»
Tatsu zuckte die Achseln. «Wenn jemand uns sieht, können Sie sagen, dass Sie mich als Kontaktperson anwerben wollen.»
Kanezaki sah ihn an. «Vielleicht tue ich das ja gerade.»
Ich dachte, Tatsu wusste, dass du das sagen würdest, Junge.
«Sehen Sie?», erwiderte Tatsu. «Gar nicht so weit hergeholt.»
Mir fiel ein alter Pokerspieler-Spruch ein: Wenn du dich am Tisch umsiehst und nicht merkst, wer der Trottel ist, bist du’s.
Eine ganze Weile sagte keiner ein Wort. Dann atmete Kanezaki tief aus und sagte: «Ich fasse es nicht, dass ich das mache. Dafür könnte ich im Gefängnis landen.»
«Dafür, dass Sie sich mit einer möglicherweise wichtigen Kontaktperson treffen?», fragte Tatsu, und ich wusste, dass die Sache abgemacht war.
«Stimmt», sagte Kanezaki eher zu sich selbst als zu uns. «Stimmt genau.»
Mir fiel eine andere Redensart ein, die ich einmal gehört hatte: Am leichtesten kann man einem Verkäufer was verkaufen.
Die ganze Ausbildung darin, wie man eine Kontaktperson dazu brachte, eine Quittung zu unterschreiben. Kanezaki hatte geradezu damit geprahlt, wie geschickt ein guter Führungsoffizier das hinbekam. Und dennoch hatte er eben eine Grenzlinie überschritten, ohne auch nur auf dem Boden zu schauen, ob eine da war.
Ich musste an die bildlichen Darstellungen der Nahrungskette denken, wo ein Fisch von einem größeren Fisch verschluckt wird, der wiederum im Rachen eines noch größeren landet.
Ich warf Kanezaki einen Blick zu und dachte: Wenigstens wird Tatsu dich nicht verraten. Es sei denn, ihm bleibt absolut keine andere Wahl.
18
W IR BRACHEN AUF , damit Kanezaki zu seinem
Weitere Kostenlose Bücher