Tokio Killer - 02 - Die Rache
dir hat sich was verändert. Zum Teil weil ich eingesehen habe, dass du tatsächlich versucht hast, die CD zurückzubekommen und das zu Ende zu führen, was mein Vater begonnen hatte. Zum Teil weil ich erkannt habe, dass du mich vor den anderen Leuten schützen wolltest, die hinter der CD her waren.»
«Aber was war der eigentliche Grund?»
Sie blickte weg, dorthin, wo die Band gespielt hatte, dann wieder zu mir. «Die Einsicht in das, was du bist. Du gehörst nicht in die reale Welt. Zumindest nicht in meine reale Welt. Du bist wie ein Gespenst, ein Geschöpf, das in der Dunkelheit leben muss. Und ich habe erkannt, das so jemand keinen Hass verdient hat.»
Ob ich Hass verdient hatte oder ob sie mich hasste, waren zwei verschiedene Dinge. Ich fragte mich, ob ihr das bewusst war. «Mitleid, stattdessen?», fragte ich.
Sie nickte. «Vielleicht.»
«Ich denke, es wäre mir lieber gewesen, von dir gehasst zu werden», sagte ich. Ich versuchte, einen leichten Ton anzuschlagen, aber sie lachte nicht.
Sie sah mich an. «Also haben wir nur noch heute Nacht.»
Fast hätte ich nein gesagt. Fast hätte ich ihr erklärt, dass es zu sehr wehtun würde.
Dann beschloss ich, dass ich mich hinterher um den Schmerz kümmern würde. Wie immer.
Wir gingen ins Park Hyatt in Shinjuku. Sie wohnte im Okura, aber dorthin zurückzukehren wäre zu gefährlich gewesen.
Wir nahmen ein Taxi zum Hotel. Auf der Fahrt sahen wir uns an, aber keiner sprach ein Wort. Als wir in das Zimmer kamen, ließen wir das Licht aus, und es schien das Natürlichste von der Welt, dass wir zu den riesigen Fenstern gingen und auf die urbane Weite von Shinjuku blickten, die in dem violetten Licht um uns herum glitzerte.
Ich betrachtete die Stadt und dachte an all die Ereignisse, die zu diesem einen Augenblick geführt hatten, diesem Moment, den ich mir so viele Male vorgestellt und bis zu Lächerlichkeit herbeigesehnt hatte und den ich jetzt versuchte, voll und ganz auszukosten, während ich schon spürte, dass er mir unwiederbringlich entglitt.
Irgendwann spürte ich, dass sie mich ansah. Ich drehte mich um und hob die Hand, erforschte die Konturen ihres Gesichtes und Halses mit der Rückseite meiner Finger, wollte mir alle Details ins Gedächtnis brennen, für später einprägen, wenn sie fort sein würde. Ich merkte, dass ich ihren Namen sagte, leise, wieder und wieder, so wie ich es tat, wenn ich allein war und an sie dachte. Dann trat sie näher, schlang die Arme um mich und zog uns mit verblüffender Kraft zusammen.
Ihr Duft war so, wie ich ihn in Erinnerung hatte: frisch, mit einem Hauch von Parfüm, das mir ein Rätsel bleibt, und ich dachte an Wein, die Art, bei der man wartet und wartet, bis man ihn dekantiert und dann zögert, ihn zu trinken, weil er danach nicht mehr da ist.
Wir küssten uns lange, sanft, ohne Eile, blieben dort vor dem Fenster stehen, und irgendwann vergaß ich wirklich, was uns hergeführt hatte und warum wir jeder allein wieder von hier würden fortgehen müssen.
Wir zogen uns gegenseitig aus, wie wir es beim ersten Mal getan hatten, schnell, fast zornig. Ich riss den Schlagstock, der noch an meinen Unterarm geklebt war, ab und legte ihn beiseite. Sie war klug genug, keine Fragen zu stellen. Als wir nackt waren, uns noch immer küssend, presste sie sich gegen mich, sodass ich rückwärts zu dem großen Doppelbett geschoben wurde. Meine Beine stießen dagegen, und ich setzte mich auf die Kante. Sie beugte sich vor, eine Hand auf dem Bett, die andere auf meiner Brust, und drückte mich nach hinten auf den Rücken. Sie kniete sich rittlings auf mich, eine Hand noch immer auf meine Brust gelegt, und griff mit der anderen nach unten, hielt mich. Sie drückte ganz kurz zu, so fest, dass es wehtat. Dann, während sie mich mit ihren dunklen Augen ansah, aber noch immer nichts sagte, führte sie mich ein.
Zuerst bewegten wir uns langsam, zögernd, wie zwei Menschen, die sich der Motive des anderen nicht ganz sicher sind. Meine Hände wanderten über die Landschaft ihres Körpers, mal weitergleitend, mal länger verweilend, reagierten auf den Rhythmus ihres Atems, den Klang ihrer Stimme. Sie stützte die Hände auf meine Schultern, legte ihr Gewicht darauf und begann, sich schneller zu bewegen. Ich betrachtete ihr Gesicht, dessen Silhouette durch das Licht vom Fenster erhellt wurde, und empfand etwas Unkörperliches, wie Wärme oder Elektrizität, das zwischen unseren Körpern pulsierte. Ich hob die Füße aufs Bett, und durch den
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