Tokio Killer - 02 - Die Rache
leicht veränderten Winkel spürte ich, wie ich mich tiefer in ihr bewegte. Ihre Atemzüge wurden kürzer und schneller. Ich versuchte, mich zurückhalten, wollte nicht loslassen, ehe sie es tat, aber sie bewegte sich noch schneller, noch drängender, und ich verlor die Kontrolle. Ein Laut, halb Grollen, halb Wimmern, drang aus ihrer Kehle, und sie beugte sich so weit vor, dass ihr Gesicht beinahe meins berührte. Sie sah mir in die Augen, und als ich spürte, dass sie kam, und ich auch kam, flüsterte sie: «Ich hasse dich», und ich sah, dass sie weinte.
Danach richtete sie sich wieder auf, ließ aber die Hände auf meinen Schultern liegen. Sie neigte den Kopf, sodass der Schatten ihr Gesicht verdunkelte. Sie gab keinen Laut von sich, aber ich spürte, wie mir ihre Tränen auf Brust und Hals fielen.
Ich wusste nicht, was ich sagen oder ob ich sie berühren sollte, und lange Zeit blieben wir so. Dann glitt sie von mir herab und ging schweigend ins Bad. Ich setzte mich auf und wartete. Nach einigen Minuten kam sie heraus, in einem weißen Frotteebademantel. Sie sah mich an, sagte aber nichts.
«Möchtest du, dass ich gehe?», fragte ich.
Sie schloss die Augen und nickte.
«Okay.» Ich stand auf und fing an, mir meine Sachen anzuziehen. Als ich fertig war, trat ich vor sie.
«Ich weiß, dass du in New York erfolgreich bist», sagte ich. «Ganbatte.» Mach weiter so.
Sie sah mich an. «Was wirst du jetzt machen?»
Ich zuckte die Achseln. «Du weißt doch, wie das mit uns Geschöpfen der Nacht so ist. Ich muss mir einen Stein suchen, unter den ich kriechen kann, bevor die Sonne aufgeht.»
Sie zwang sich zu einem Lächeln. «Danach, meine ich.»
Ich nickte, überlegte. «Ich weiß es nicht.»
Es entstand eine Pause.
«Du solltest mit deinem Freund zusammenarbeiten», sagte sie. «Eine andere Möglichkeit hast du nicht.»
«Komisch, er sagt das auch immer. Gut, dass ich nicht an Verschwörungen glaube.»
Das Lächeln erschien wieder, diesmal etwas weniger gezwungen. «Seine Motive sind wahrscheinlich egoistisch. Meine nicht.»
Ich sah sie an. «Ich bin nicht sicher, ob ich nach dem, was du mir gerade gesagt hast, deinen Motiven trauen soll.»
Sie schaute zu Boden. «Es tut mir Leid.»
«Nein, ist schon gut. Du warst nur ehrlich. Obwohl ich glaube, dass noch nie jemand so ehrlich zu mir war. Zumindest nicht in so einem Moment.»
Noch ein Lächeln. Es war traurig, aber es sah zumindest echt aus. «Ich bin jetzt ehrlich.»
Ich musste es hinter mich bringen. Ich trat näher an sie heran, nah genug, um ihr Haar riechen zu können und die Wärme ihrer Haut zu spüren. Einen Moment blieb ich so stehen, die Augen geschlossen. Atmete tief ein. Langsam wieder aus.
Ich wollte die eindeutige Endgültigkeit von Sayonara vermeiden. «Auf Wiedersehen, Midori», sagte ich.
Ich ging zur Tür und spähte in alter Gewohnheit durch den Spion. Der Korridor war leer. Ich ging hinaus, ohne mich umzusehen.
Der Flur war hart. Der Fahrstuhl war ein bisschen leichter. Als ich endlich auf die Straße trat, wusste ich, dass das Schlimmste überstanden war.
Eine Stimme meldete sich in mir, leise aber nachdrücklich. So ist es am besten, sagte sie.
21
I CH GING durch die kleineren Seitenstraßen von Shinjuku nach Osten, überlegte, wo ich die Nacht verbringen und was ich nach dem Aufwachen am nächsten Morgen tun würde. Ich versuchte, an nichts anderes zu denken.
Es war spät, aber noch immer waren hier und dort Leute unterwegs, die sich wie vage Sternbilder in der Leere des Raumes um sie herum bewegten: Vagabunden und Bettler, Nutten und Zuhälter, Entmutigte, Entrechtete, Enteignete.
Ich litt, und ich sah keinen Weg, den Schmerz loszuwerden.
Mein Pager summte.
Natürlich dachte ich Midori.
Aber ich wusste, dass sie es nicht war. Sie hatte die Nummer gar nicht. Und selbst wenn sie sie hätte, würde sie sie nicht benutzen.
Ich schaute auf das Display, erkannte aber nicht, wer angerufen hatte.
Ich suchte mir eine Telefonzelle und wählte die Nummer. Es klingelte einmal, dann meldete sich eine Frauenstimme. Sie sagte: «Hi.»
Es war Naomi.
«Hi», sagte ich. «Ich hatte schon fast vergessen, dass ich dir die Nummer gegeben habe.»
«Hoffentlich stört es dich nicht, dass ich sie benutze.»
«Aber nein. Ich bin nur ein bisschen überrascht.»
Kurzes Schweigen trat ein. «Tja, heute Abend war im Club nicht viel los, und ich bin früher nach Hause gegangen. Ich dachte, du hättest vielleicht Lust
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