Tokio Killer - 02 - Die Rache
würde, nachdem er beschlossen hat, seine gescheiterte Beraterfirma aufzugeben und nach Brasilien auszuwandern, um Japanern der dritten Generation ihre mittlerweile vergessene Sprache beizubringen. Er brauchte ein Visum, ein legales Bankkonto – im Gegensatz zu meinen illegalen Auslandskonten, die ich unter einem Pseudonym laufen lasse –, Hilfe bei der Wohnungssuche und ein Büro. Offiziell würde er sich in São Paulo niederlassen, wo fast die Hälfte aller Brasilianer japanischer Abstammung lebt, was es noch schwieriger machen würde, seine Spur bis nach Rio zu verfolgen. Natürlich wäre es einfacher gewesen, das japanische Konsulat in Brasilien um Hilfe zu bitten, doch Mr. Yamada zog Wege vor, die weniger offiziell waren und sich nicht so leicht zurückverfolgen ließen.
Während ich also damit beschäftigt war, für Yamada in Brasilien eine Existenz aufzubauen, las ich über eine Serie von Bestechungsskandalen und fragte mich, inwiefern sie bei Tatsus Schattenkrieg gegen Yamaoto eine Rolle spielten. Die Universal Studios Japan hatten anscheinend Gerichte serviert, die neun Monate über dem Verfallsdatum gewesen waren, und zur Vertuschung einfach die Etiketten ausgetauscht. Bei Mister Donut wurden den Fleischklößen verbotene Zusatzstoffe untergemischt. Snow Brand Food sparte gerne ein paar Yen, indem man alte Milch wieder aufbereitete und Produktionsleitungen nicht gereinigt wurden. Das hatte sich nicht vertuschen lassen – fünfzehntausend Menschen hatten eine Lebensmittelvergiftung bekommen. Mitsubishi Motors und Bridgestone gerieten arg unter Beschuss, weil sie Defekte an Autos und Reifen nicht gemeldet hatten, um Rückrufaktionen zu vermeiden. Die schlimmste,
selbst für japanische Verhältnisse schockierende Meldung war, dass man TEPCO, Tokyo Electric Power, auf die Schliche gekommen war, schon seit zwanzig Jahren gefälschte Berichte zur nuklearen Sicherheit vorgelegt zu haben. In diesen Berichten waren ernste Probleme bei acht unterschiedlichen Reaktoren verschwiegen worden, so zum Beispiel Risse in den Betonummantelungen.
Das Erstaunlichste jedoch waren nicht die Skandale, sondern die offensichtliche Gleichgültigkeit, mit der die Menschen darauf reagierten. In anderen Ländern hätten solche Enthüllungen einen Sturm der Entrüstung entfacht. Doch trotz der Skandale, trotz der Wirtschaftslage wählten die Japaner immer weiter die üblichen Verdächtigen der Liberaldemokratischen Partei. Himmel, die eine Hälfte des Problems, gegen das Tatsu ankämpfte, bestand aus seinen offiziellen Vorgesetzten, den Leuten, vor denen er sozusagen stramm stehen musste. Wie macht man weiter angesichts einer so hartnäckigen Ignoranz und gnadenlosen Heuchelei? Wieso machte er sich die Mühe?
Ich las die Artikel und versuchte mir vorzustellen, wie Tatsu sie wohl deuten würde, ja, wie er vielleicht sogar versuchen würde, sie umzudeuten. Wahrscheinlich war nicht alles daran schlecht. Tatsächlich gab es in den Provinzen einige Entwicklungen, die ihm Mut machen mussten. Kitagawa Masayasu hatte die Bürokraten in Mie einfach durch die Ablehnung eines geplanten Atomkraftwerkes geschlagen. In Chiba hatte Domoto Akiko, ein achtundsechzigjähriger früherer Fernsehreporter, sich gegen Kandidaten durchgesetzt, die von Wirtschaft, Gewerkschaften und verschiedenen politischen Parteien unterstützt worden waren. In Nagano hatte Gouverneur Tanaka Yasuo alle Dammbauprojekte gestoppt, und das gegen den Widerstand der einflussreichen Bauindustrie des Landes. In Tottori hatte Gouverneur Yoshihiro Katayama die Akten der Präfektur für alle geöffnet, die Einsicht nehmen wollten, und damit einen Präzedenzfall geschaffen, der seinen Amtskollegen in Tokio wahrscheinlich den Angstschweiß auf die Stirn trieb.
Ich machte mich außerdem daran, per Computer Informationen über Yukiko und das Damask Rose zu sammeln. Im Vergleich zu Harry bin ich als Hacker ein blutiger Laie, aber in diesem Fall konnte ich ihn nicht um Hilfe bitten, ohne ihm zu verraten, dass ich hinter ihm herschnüffelte.
Über die Steuerunterlagen des Clubs bekam ich Yukikos Nachnamen heraus: Nohara. Und damit konnte ich einiges in Erfahrung bringen. Sie war siebenundzwanzig Jahre alt, in Fukuoka geboren, hatte an der Universität Waseda studiert. Sie wohnte in einem Apartmenthaus auf der Koto-dori in Minami Aoyama. Keine Vorstrafen. Keine Schulden. Nichts Bemerkenswertes.
Der Club war interessanter, aber auch schwieriger zu durchleuchten. Er gehörte einer ganzen
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