Tokio Killer - 02 - Die Rache
tun hatte oder mit jemand anderem.
Später im Hotel lag ich im Bett und starrte an die Decke.
Es war also doch nicht Midori, dachte ich.
Die CIA statt Midori. Schöner Trostpreis.
Es reicht. Lass gut sein.
Mit einem Mal war ich mir noch unsicherer als am Abend zuvor, ob dies meine letzte Nacht in Tokio sein würde. Ich starrte lange zur Decke, ehe der Schlaf mich überkam.
6
A M NÄCHSTEN M ORGEN nahm ich den Hochgeschwindigkeitszug zurück nach Osaka. Als ich am frühen Nachmittag am hektischen Bahnhof Shin Osaka ankam, stellte ich erstaunt fest, dass es ein schönes Gefühl war, wieder hier zu sein. Vielleicht hatte ich das Hotelleben satt. Oder vielleicht lag es an dem Wissen, dass ich bald wieder fortmusste, diesmal für immer.
Ich machte einen komplizierten Umweg, ehe ich in einen Zug der Tanimachi-Linie stieg und nach Miyakojima fuhr, wo ich die Treppe des Ausgangs A4 hinauf zur Straße nahm.
Am Polizeihäuschen an der Kreuzung Miyakojima Hon-dori bog ich links ab und manövrierte mich durch das Meer von Fahrrädern, die von Pendlern kreuz und quer vor dem Ausgang abgestellt worden waren. Ebenso gut hätte ich nach rechts gehen können, vorbei an der High School und in Richtung des Flusses Okawa. Ich hatte mich unter anderem deshalb für das Hochhaus in Belfa entschieden, weil es von allen Seiten erreichbar war.
An der Miyakojima Kita-dori ging ich wieder links, dann rechts gegen die Fahrtrichtung in eine Einbahnstraße, dann noch einmal links. Ich bewegte mich gegen den Verkehr, damit mir niemand mit einem Fahrzeug folgen konnte. Und jedes Abbiegen ermöglichte mir einen unauffälligen Blick nach hinten und brachte mich in immer schmalere, ruhigere Straßen. Wer mir zu Fuß folgen wollte, musste mir dicht auf den Fersen bleiben, um mich nicht zu verlieren. Außerdem gab es Dutzende Hochhäuser in dem Viertel, und die Tatsache, dass ich in jedes beliebige verschwinden konnte, machte eine Überwachung aus nächster Nähe zwingend erforderlich.
Ich hatte im 36. Stock eines der Zwillingshochhäuser im Belfa-Komplex eine Vierzimmer-Eckwohnung. Sie war eigentlich viel zu groß für mich, und ich konnte gar nicht alle Zimmer nutzen. Aber ich wohnte gerne in der obersten Etage, mit einem Blick über die Stadt, hoch über allem. Es gab aber noch einen weiteren Grund, warum ich die Wohnung gemietet hatte: Sie passte nicht in das Profil eines anspruchslosen, allein stehenden Mannes, der aus heiterem Himmel verschwunden war. Letztendlich hatte das natürlich keine Rolle gespielt.
Von einer Telefonzelle aus wählte ich eine Mailbox an, die mit einem speziellen Telefon in meiner Wohnung verbunden war, ein klangaktivierbares Gerät mit einem sensiblen Lautsprecher, der auch als Sender funktioniert. Wenn jemand in die Wohnung eindringt, ohne den Code zu kennen, der den Apparat ausschaltet, wird geräuschlos eine Mailbox angewählt, die mir im Voraus und aus sicherer Entfernung mitteilt, ob ich Überraschungsbesuch habe. Die gleiche Einrichtung hatte mich in Tokio schon einmal vor einem Hinterhalt gewarnt, den Holtzer mir gelegt hatte, und ich bleibe gerne Dingen treu, die sich bewährt haben. Ich hatte schon von Tokio aus täglich die Mailbox angerufen. Auch diesmal war die Mailbox leer, daher wusste ich, dass die Wohnung während meiner Abwesenheit unberührt geblieben war.
Von der Telefonzelle war es nur noch ein kurzes Stück zum Hochhaus. Auf dem Spielfeld rechts von mir wurde Softball gespielt. Bei den Granitskulpturen vor dem Gebäude übten ein paar Kinder Baseball. Ein alter Mann schlingerte auf einem Fahrrad an mir vorbei, ein lachendes Enkelkind vor sich auf dem Lenker.
Ich nahm den Vordereingang, näherte mich ihm in einem solchen Winkel, dass die auf das Gebäude gerichteten Überwachungskameras nur ein Bild von meinem Rücken aufnehmen konnten. Derartige Vorsichtsmaßnahmen sind für mich Routine, doch Tatsu hatte mir klargemacht, dass diese Kameras überall sind und man unmöglich alle entdecken kann.
Ich nahm den Fahrstuhl in den 36. Stock und ging über den Flur zu meiner Wohnung. Ich überprüfte das kleine Stück durchsichtiges Klebeband, das ich unten an die Tür geklebt hatte, und sah, dass es unversehrt war und noch fest am Türpfosten haftete.
Ich schloss die Tür auf und ging hinein. Alles war so, wie ich es verlassen hatte. Was allerdings nicht viel besagte: Abgesehen von dem Futon und dem Nachttisch in einem Zimmer gab es nur eine olivenfarbene Ledercouch, die an der Wand mit Blick
Weitere Kostenlose Bücher