Tokio Killer - 02 - Die Rache
lächelte, ein wenig erstaunt bei der Vorstellung, dass dieser harte, verschlagene Bursche sich kleinlaut seiner Frau fügte.
«Was ist?», fragte er.
Ich sagte ihm die Wahrheit. «Es tut immer gut, dich zu sehen, du Mistkerl.»
Er erwiderte das Lächeln, und ein Netz von Fältchen erschien um seine Augen. «Kochira koso.» Dito.
Er winkte der Kellnerin und bestellte Kamillentee. Also verzichtete ich auf den Cragganmore. Leider.
Dann hob er den Kopf. «Wie gesagt, ich brauche noch einmal deine Hilfe.»
Ich trommelte mit den Fingern gegen meine Tasse. «Ich dachte, du hättest gesagt, das hier sei ein Freundschaftsbesuch.»
Er nickte. «Ich habe gelogen.»
Das hatte ich mir bereits gedacht, und das wusste er. «Ich dachte, du hättest gesagt, dass ich dir vertrauen kann.»
«Bei den wichtigen Dingen, natürlich. Außerdem schließt ein Freundschaftsbesuch doch nicht die Bitte um einen Gefallen aus.»
«Du möchtest mich also um einen Gefallen bitten?»
Er zuckte die Achseln. «Du stehst nicht mehr in meiner Schuld.»
«Früher habe ich viel Geld bekommen, wenn ich irgendwelchen Leuten einen Gefallen getan habe.»
«Es freut mich zu hören, dass du von ‹früher› sprichst.»
«Bis vor kurzem entsprach das auch der Wahrheit.»
«Darf ich fortfahren?»
«Solange zwischen uns klar ist, dass ich dir in keiner Weise verpflichtet bin.»
Er nickte. «Wie ich gesagt habe.» Er hielt inne und holte eine kleine Dose mit Pfefferminzbonbons aus der Innentasche seines Jacketts. Er öffnete die Dose und hielt sie mir hin. Ich schüttelte den Kopf. Er nahm ein Bonbon heraus und schob es sich in den Mund, ohne den Kopf zu neigen oder einen Blick darauf zu werfen. Es war nicht Tatsus Art, die Augen von dem abzuwenden, was um ihn herum vor sich ging, und das zeigte sich bei Kleinigkeiten genauso wie bei wichtigeren Dingen.
«Der Gewichtheber war einer aus der ersten Riege», sagte er. «Zugegeben, er sah aus wie ein Neandertaler, aber er gehörte zur neuen Generation des organisierten Verbrechens in Japan. Sein Spezialgebiet, und darin war er wirklich gut, war die Gründung legaler, lukrativer Unternehmen, hinter denen sich seine weniger fortschrittlichen Komplizen verstecken konnten.»
Ich nickte, da mir das Phänomen bekannt war. Die Vertreter der neuen Generation hatten eingesehen, dass ihnen Tätowierungen, schrille Anzüge und ein aggressives Auftreten in der Gesellschaft nur wenig einbrachten, und sie legten ihr kriminelles Image ab, um sich auf legale Geschäfte wie den Immobilienhandel oder die Unterhaltungsbranche zu stürzen. Die ältere Generation, die sich noch immer überwiegend auf Drogenhandel und Prostitution konzentrierte, nutzte diese Jungunternehmer mehr und mehr, wenn es um Geldwäsche, Steuerhinterziehung und ähnliche Gefälligkeiten ging. Im Gegenzug wandten sich die Neulinge an ihre Vorgänger, wenn sich der geschäftliche Konkurrenzdruck durch den gut kalkulierten Einsatz traditioneller, branchenüblicher Methoden lindern ließ – Bestechung, Erpressung, Mord –, worauf die ältere Generation nach wie vor spezialisiert war. Es handelte sich um eine symbiotische Arbeitsteilung, die jedem klassischen Volkswirtschaftler Freudentränen in die Augen getrieben hätte.
«Der Gewichtheber hatte ein gut funktionierendes System aufgebaut», fuhr Tatsu fort. «Alle traditionellen Gumi haben seine Dienste genutzt. Das System verschaffte ihnen Legalität, was sie strafrechtlich unantastbar machte und ihnen in Politik und Aufsichtsräten mehr Einfluss bescherte. Besonders unser gemeinsamer Bekannter Yamaoto Toshi war auf die Dienste des Gewichthebers angewiesen.»
Gumi bedeutete Gruppe oder Gang. Im Zusammenhang mit der Yakuza bezog sich das Wort auf Familienclans im organisierten Verbrechen, das japanische Pendant zur New Yorker Mafiafamilie Gambino oder den – fiktionalen – Corleones.
«Ich verstehe nicht, was sich groß ändern soll, wenn er nicht mehr da ist», sagte ich. «Nimmt nicht einfach jemand anderes seinen Platz ein?»
«Auf lange Sicht, ja. Wenn die Nachfrage groß genug ist, wird irgendwann jemand auch für das Angebot sorgen. Aber zunächst gibt es eine Unterbrechung. Der Gewichtheber war für das reibungslose Funktionieren der Organisation unerlässlich. Er hat keine Nachfolger aufgebaut, weil er wie viele Alleinherrscher fürchtete, die Anwesenheit eines Nachfolgers würde eine Nachfolge wahrscheinlicher machen. Jetzt, wo er weg ist, wird es in seiner Organisation zu
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