Tokio Killer - 02 - Die Rache
ansah. «Rein hypothetisch. Wäre es realistischerweise möglich, jemanden von einem Dach zu werfen und es wie Selbstmord aussehen zu lassen?»
Zufällig wusste ich ganz sicher, dass das möglich war, aber ich nahm Tatsus Angebot an, auf der «rein hypothetischen» Ebene zu bleiben.
«Kommt drauf an, wie gründlich die anschließende Obduktion ist», sagte ich.
«Geh davon aus, dass sie sehr gründlich ist.»
«In dem Fall wäre es schwierig. Aber trotzdem möglich. Das größte Problem wäre, das Opfer ohne Zeugen aufs Dach zu bekommen. Wenn dir kein überzeugender Trick einfällt, wie du den Betreffenden dazu bringen kannst, sich auf dem Dach mit dir zu treffen, oder auch nicht wahrscheinlich ist, dass er irgendwann mal da oben sein wird, musst du ihn selbst raufschaffen. Wenn er bei Bewusstsein wäre, würde er während des Transports einen Heidenlärm veranstalten. Und wenn er sich wehrte, gäbe es Kampfspuren. Deine Haut unter seinen Nägeln. Vielleicht ein Büschel Haare zwischen seinen erstarrten Fingern. Weitere Spuren, die nicht zu einer freiwilligen Tat passen. Und er würde sich aus Leibeskräften wehren, ohne Angst vor Schmerzen, und deshalb würdest du selbst auch jede Menge Kampfspuren davontragen. Du glaubst ja nicht, wie ein Mensch kämpft, wenn er weiß, dass es um sein Leben geht.»
«Ihn zuerst fesseln?»
«Das hinterlässt Spuren. Selbst wenn er sich nicht wehrt.»
«Und er würde sich wehren.»
«Du nicht?»
«Ihn zuerst töten?»
«Vielleicht. Aber das ist riskant. Die Veränderungen im Körper setzen rasch nach Eintritt des Todes ein. Das Blut sammelt sich. Die Temperatur sinkt. Und die Auswirkungen des Aufschlags sind bei einem toten Körper anders als bei einem lebenden. Diese Ungereimtheiten könnten dem Gerichtsmediziner auffallen. Außerdem müsstest du dir überlegen, wie du die tatsächliche Todesursache kaschierst.»
«Und wenn er ohnmächtig wäre?»
«So würde ich es machen. Aber wenn er ohnmächtig ist, musst du ihn wie eine Leiche transportieren. Und ein schlaffes Gewicht von siebzig bis hundert Kilo zu tragen ist nicht leicht. Außerdem, wenn du ihn mit irgendeinem Rauschmittel außer Gefecht gesetzt hast, wäre es höchstwahrscheinlich noch im Blut des Toten nachweisbar.»
«Was ist mit Alkohol?»
«Wenn er so betrunken ist, dass er umkippt, das wäre der Idealfall. Viele Selbstmörder trinken, bevor sie sich die Kugel geben, das ist also unverdächtig. Aber wie willst du den Burschen dazu bringen, dass er sich selbst unter den Tisch trinkt?»
Er nickte. «Die beiden fraglichen Selbstmörder hatten so viel Alkohol im Blut, dass sie bewusstlos hätten sein können.»
«Könnte sein, dass du Recht hast. Vielleicht aber auch nicht. Das ist ja das Schöne daran.»
«Eine Spritze?»
«Möglich. Aber um eine hinreichende Menge Alkohol zu injizieren, müsstest du eine sichtbare Einstichstelle hinterlassen. Und dann hat er Alkohol im Blut, aber keine Reste von, sagen wir, Asahi Super Dry im Magen? Ganz schlecht.»
«Vielleicht eine Falle. Eine Frau, die ihm hochprozentige Drinks mixt und ihn dazu bringt, mehr zu trinken, als er vertragen kann.»
«Das könnte klappen.»
«Wie würdest du es anstellen?»
«Rein hypothetisch?»
Er sah mich an. «Natürlich», sagte er.
«Rein hypothetisch würde ich versuchen, spät abends, wenn nur ganz wenige Leute in der Nähe sind, an die Zielperson heranzukommen. Vielleicht in seiner Wohnung, wenn ich einigermaßen sicher davon ausgehen könnte, dass er allein ist, und ich eine zuverlässige Möglichkeit hätte, unbemerkt einzudringen. Ich würde mich als Hausmeister verkleiden, weil auf Hausmeister normalerweise keiner achtet. Ich würde ihn mit einer Betäubungspistole außer Gefecht setzen und in einen von diesen großen Wäschewagen oder einen rollbaren Müllcontainer verfrachten, irgendwas, was im Gebäude nicht großartig auffällt. Ich würde den Behälter mit was Weichem auspolstern, damit er sich keine blauen Flecke holt, die nicht zu einem Sturz vom Dach passen würden. Man müsste ihm alle fünfzehn Sekunden wieder eine Dröhnung mit der Betäubungspistole verpassen, damit er schön ruhig bleibt, aber wenn niemand in der Nähe ist, dürfte das kein Problem sein. Dann rauf aufs Dach mit ihm, über den Rand gerollt und weg ist er. So würde ich es machen. Rein hypothetisch.»
«Was würdest du denken, wenn du einen kleinen Streifen Plastik eingeklemmt im Uhrenarmband des Opfers fändest?»
«Was für
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