Tokio Killer - 02 - Die Rache
später stand Yukiko auf und entschuldigte sich. Elsa wiederholte die gleiche Szene an dem Tisch, wo Naomi arbeitete. Alles sehr dezent.
Yukiko kam auf uns zu, und ich sah, wie sich ihr Mund zu einem katzenhaften Grinsen verzog, als sie Murakami erblickte. Naomi folgte ihr kurz darauf. Sie trug erneut ein elegantes, schwarzes Cocktailkleid, diesmal aus Seide, das in der Taille eng geschnitten war, darüber aber locker saß. Wie beim letzten Mal glitzerte das Diamantarmband an ihrem Handgelenk.
Sie sah mich, und ihre Miene wandelte sich zu einem Lächeln, das jedoch abrupt erstarb, als ihre Augen zu Murakamis Gesicht hinüberglitten. Sie kannte ihn offensichtlich, und aufgrund der Geschichte, die ich ihr aufgetischt hatte, erwartete sie natürlich nicht, uns zusammen zu sehen. Bestimmt suchte sie jetzt nach einer Erklärung für diese Unstimmigkeit. Aber die Plötzlichkeit, mit der sich ihr Gesichtsausdruck gewandelt hatte, verriet mir, dass da noch mehr war. Sie hatte Angst.
Yukiko nahm mir gegenüber neben Murakami Platz. Sie betrachtete mich lange, warf einen kurzen Blick zu Murakami hinüber und sah dann wieder mich an. Ihre Lippen bewegten sich zu der Andeutung eines kühlen Lächelns. Murakami schaute sie an, aber sie ignorierte ihn. Ich spürte, wie sich Spannung aufbaute, und dachte: Treib bloß keine Spielchen mit dem Kerl. Er könnte explodieren. Dann wandte sie sich ihm erneut zu und schenkte ihm ein Lächeln, das besagte: Ich hab dich doch nur ein bisschen geärgert, Liebling. Sei nicht albern.
Die Spannung verlor sich. Ich dachte, wenn überhaupt jemand ein gewisses Maß an Kontrolle über die Kreatur hatte, die da neben mir saß, dann wahrscheinlich diese Frau.
Naomi nahm den letzten freien Platz. «Hisashiburi desu ne», sagte ich zu ihr. Lange nicht gesehen.
«Un, so desu ne», erwiderte sie mit jetzt neutraler Miene. Ja, lange her. Vielleicht kam es ihr seltsam vor, dass ich jetzt Japanisch sprach, wo ich doch beim letzten Mal auf Englisch bestanden hatte. Aber vielleicht nahm ich ja nur Rücksicht auf die beiden anderen.
«Ihr kennt euch», warf Murakami auf Japanisch ein. «Gut. Arai-san, das ist Yukiko.»
Naomi ließ sich nicht anmerken, dass ihr mein neuer Name aufgefallen war.
«Hajimemashite», sagte Yukiko. Sie sprach auf Japanisch weiter: «Ich habe Sie vor ein paar Wochen schon mal hier gesehen.»
Ich neigte leicht den Kopf und erwiderte ihre Begrüßung. «Ich erinnere mich auch an Sie. Sie sind eine wunderbare Tänzerin.»
Sie legte den Kopf schief. «Irgendwie sehen Sie anders aus.»
Meine amerikanische und meine japanische Persönlichkeit sind unterschiedlich, und ich trete anders auf, je nachdem, welche Sprache ich benutze und auf welchen Modus ich geschaltet habe. Wahrscheinlich hatte mich Rotgesicht deshalb nicht erkannt, auch weil er in Murakamis Gegenwart so nervös war. Yukiko reagierte auf diese Unterschiedlichkeit, konnte sie sich aber nicht so recht erklären.
Ich fuhr mir mit den Fingern durchs Haar, als wollte ich es glatt streichen. «Ich komme gerade vom Training», sagte ich.
Murakami lachte leise. «Das kann man wohl sagen.»
Eine Kellnerin kam an unseren Tisch. Sie brachte uns vier heiße Waschlappen, mit denen wir uns die Hände und das Gesicht erfrischen konnten, und eine Auswahl an kleineren Snacks. Als sie alles abgestellt hatte, sah sie Murakami an und fragte: «Bombay Sapphire?», offensichtlich sein Lieblingsdrink. Er nickte knapp und signalisierte, dass Yukiko das gleiche nehmen würde.
Die Kellnerin sah mich an. «Okyakusama?», erkundigte sie sich.
Ich wandte mich an Naomi. «Den Springbank?», fragte ich. Sie nickte, und ich bestellte zwei.
Die lebenssprühende Halb-Lateinamerikanerin, die ich neulich Nacht erlebt hatte, wirkte heute wie eine Schildkröte, die sich in ihren Panzer zurückgezogen hatte. Was dachte sie wohl?
Neuer Name, neue japanische Persönlichkeit, neuer Yakuza-Freund. Eigentlich reichlich Futter für ein angeregtes Gespräch. Aber sie sagte gar nichts. Ihre Zurückhaltung musste also situationsbedingt sein. Ich dachte an die Angst, die mir aufgefallen war, als ihre Augen auf Murakami fielen. Es lag an ihm. Sie fürchtete sich davor, irgendwas zu sagen oder zu tun, das ihn aufmerken lassen könnte.
Bei unserer letzten Begegnung hatte ich das Gefühl gehabt, dass sie mehr wusste, als sie sagen wollte. Ihre Reaktion auf Murakami bestätigte diesen Eindruck. Und falls sie vorgehabt hätte, mich zu verraten, dann hätte sie es
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