Tokio Killer - 02 - Die Rache
Wirkung verloren hatten.
Sie lachte freudlos. «Ich habe Regeln. Du hörst dich an wie eine Hure, die als tugendhaft gelten will, weil sie nicht bereit ist, die Kunden zu küssen, die sie fickt.»
Es tat weh. Aber ich steckte es weg.
«Und dann hat mir dein Freund von der Tokioter Polizei erzählt, du seist tot. Und du hast mich in dem Glauben gelassen. Weißt du, dass ich um dich getrauert habe? Weißt du, wie das ist?»
Ich habe auch um dich getrauert, wollte ich sagen. Aber ich brachte es nicht heraus.
«Warum?», fragte sie. «Warum hast du mir das angetan? Abgesehen von dem, was du mit meinem Vater gemacht hast, warum hast du mir das auch noch angetan?»
Ich schaute weg.
«Verdammt, sag ’s mir», hörte ich ihre Stimme.
Ich packte mein Glas fester. «Ich wollte dich schonen. Wollte dir dieses … Wissen ersparen.»
«Das glaube ich dir nicht. Im Grunde wusste ich es sowieso schon. Was meinst du, was ich gedacht habe, als die Korruptionsbeweise auf dieser CD, für deren Veröffentlichung mein Vater gestorben ist, nicht veröffentlicht wurden? Als ich herausfinden wollte, wo deine sterblichen Überreste waren, um ihnen die letzte Ehre zu erweisen, und es nicht konnte?»
«Ich wusste nicht, dass die Beweise nicht veröffentlicht werden würden», sagte ich, ohne sie anzusehen. «Im Gegenteil, ich bin fest davon ausgegangen. Aber wie dem auch sei, ich dachte, du würdest mich vergessen. Manchmal hatte ich meine Zweifel, aber was hätte ich denn machen können? Einfach wieder in deinem Leben auftauchen und dir alles erklären? Was wäre gewesen, wenn ich mich getäuscht hätte, wenn du vergessen hättest, keinerlei Verdacht haben würdest, dein Leben weiterlebtest, so wie ich es gehofft hatte?» Ich blickte sie an. «Ich hätte dir doch nur noch mehr Schmerz zugefügt.»
Sie schüttelte den Kopf. «Du hättest mir nicht noch mehr Schmerz zufügen können, selbst wenn du es versucht hättest.»
Wir schwiegen lange. Schließlich sagte ich: «Verrätst du mir, wie du mich gefunden hast?»
Sie zuckte die Achseln. «Dein Freund von der Polizei.»
Ich war fassungslos. «Tatsu hat Kontakt zu dir aufgenommen?»
Sie schüttelte den Kopf. «Ich habe Kontakt zu ihm aufgenommen. Mehrmals, genauer gesagt. Er hat mich immer wieder abgewimmelt. Letzte Woche bin ich dann nach Tokio gekommen und zu seinem Büro gegangen. Einer Sekretärin habe ich gesagt, falls Ishikura-san nicht bereit sei, mit mir zu sprechen, würde ich die Presse einschalten und alles in meiner Macht Stehende tun, um einen Skandal zu verursachen. Und das hätte ich auch getan, weißt du. Ich hätte nicht aufgegeben.»
«Er hat mit dir gesprochen?», fragte ich.
«Nicht sofort. Heute Nachmittag hat er mich angerufen.»
Heute Nachmittag. Also unmittelbar nach meiner Absage.
«Und er hat dir gesagt, dass du mich hier finden könntest?»
Sie nickte.
Wie hatte er es bloß schon wieder geschafft, mich aufzuspüren? Wahrscheinlich diese verfluchten Kameras. Einige sind zu sehen. Nicht alle, hatte er gesagt. Klar, mit Hilfe der Kameras kann man meinen Aufenthaltsort in etwa eingrenzen, und dann schickt man Leute in die in Frage kommenden Hotels in dem Gebiet. Falls nötig mit demselben Foto, das in die Kameras eingespeist wurde, und mit der Gesichtserkennungssoftware.
Es war dumm von mir, dass ich in Tokio geblieben war. Andererseits hatte ich Harry ja noch warnen müssen, und ein Anruf aus Übersee wäre wahrlich auch keine gute Lösung gewesen.
Aber was führte dieser verschlagene Hund im Schilde? «Kannst du dir denken, warum Tatsu jetzt bereit war, mir dir zu sprechen, nachdem er sich ein Jahr lang geweigert hat?», fragte ich.
Sie zuckte die Achseln. «Wahrscheinlich wegen meiner Drohung.»
Das bezweifelte ich. Tatsu kannte Midori nicht so gut wie ich. Er hatte bestimmt angenommen, fälschlicherweise, dass sie nur bluffte.
«Glaubst du wirklich, das war der einzige Grund?», fragte ich.
«Vielleicht. Vielleicht wollte er ja auch aus irgendeinem tieferen Grund, dass wir uns treffen. Aber was hätte ich tun sollen – ihm eins auswischen, indem ich mich weigerte, dich zu treffen?»
«Wohl kaum.» Und das hatte Tatsu sich auch gedacht. Plötzlich empfand ich Zorn, fast Hass, auf Tatsu und seine ewigen Winkelzüge.
Sie seufzte. «Er hat mir erzählt, dass es seine Idee war, nicht deine, mir zu sagen, dass du tot bist.»
Er hatte darauf spekuliert, dass sie mir das sagen würde. Glaubte er, ich würde Murakami jetzt aus Dankbarkeit
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