Tokio Killer - 02 - Die Rache
wusste, dass hinten Gewichte lagen. Vielleicht schaffte ich es bis dorthin, bevor er mich erwischte. Falls es nur lose Scheiben waren, könnte ich sie als Wurfgeschosse verwenden, ihn ablenken, mir eine Chance verschaffen, an die Pistole zu kommen. Auch das erschien mir nicht gerade viel versprechend gegen einen Kerl, der so gute Reflexe hatte, dass er gegen Hunde kämpfte. Aber mir gingen allmählich die Ideen aus.
«Du zuerst», sagte ich.
«Also gut, bewaffnet», sagte er und kam auf mich zu. Ganz langsam, er ließ sich Zeit.
Ich spannte die Muskeln an, wollte zu den Gewichten lossprinten.
Da ertönte ein durchdringendes Klopfen an der Vordertür, und ich hörte, wie die Worte Keisatsu da!, Polizei!, durch ein Megaphon gebellt wurden.
Murakamis Kopf drehte sich in diese Richtung, aber seine Augen blieben weiter auf mich gerichtet. Seine Reaktion zeigte mir, dass das Klopfen ihn überrascht und dass er mit so etwas nicht gerechnet hatte.
Es ertönte erneut, eine Faust hämmerte auf Metall. Keisatsu da! Akero! Polizei! Aufmachen!
Tatsu, dachte ich.
Wir sahen uns eine ewige Sekunde lang an, aber ich wusste bereits, was er tun würde. Er mochte ja verrückt sein, aber er war ein Überlebenskünstler. Und ein Überlebenskünstler schätzte seine Chancen immer wieder neu ein, er ignorierte sie nicht.
Er zielte mit dem Messer auf mich. «Ein anderes Mal», sagte er. Dann rannte er los, Richtung Umkleide.
Ich flitzte zu meiner Sporttasche. Aber als ich sie erreichte, war er schon in der Umkleide und hatte die Tür hinter sich zugeknallt. Ihm allein zu folgen wäre gefährlich. Mit Tatsu als Unterstützung wäre mir wohler.
Ich rannte zum Eingang. Die Tür war mit horizontalen Federdruckbolzen gesichert, und ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich den Mechanismus durchschaut hatte. Der in der Mitte wollte nicht aufgehen. Da, der Schnappriegel – den zuerst. Ich drückte und drehte, und die Bolzen glitten zurück.
Ich schob die Tür mit der Schulter auf. Tatsu und zwei weitere Männer standen auf der anderen Seite, alle mit gezückten Pistolen. «Da drin», sagte ich und deutete mit dem Kopf. «Es gibt eine Hintertür, durch die er vielleicht raus kann. Er hat ein Messer.»
Tatsu zeigte auf einen seiner Männer, dann auf die kleine Gasse rechts von dem Haus. Der Mann rannte los, in die Gasse hinein. Tatsu zeigte auf den anderen Mann, dann auf die Tür. Die beiden kamen herein. Ich folgte ihnen.
Sie registrierten die beiden Männer auf dem Boden und sahen, dass von ihnen keine Gefahr mehr ausging. Wir bewegten uns zum rückwärtigen Teil des Dojo. Ich sah, dass Tatsus Mann Richtung Toilettentür ging. «Nicht da», sagte ich. «Da. Im Umkleideraum. Da gibt es einen Hinterausgang, aber vielleicht ist er noch drin.»
Sie gingen rechts und links von der Tür in Stellung, duckten sich, um weniger Zielfläche zu bieten. Beide hielten sie ihre Waffe in Hüfthöhe dicht am Körper, in der Position, die «drittes Auge» genannt wird, was einiges taktisches Geschick verriet. Tatsu nickte, und sein Mitarbeiter, der auf der Türseite mit dem Knauf postiert war, hob den Arm und stieß die Tür nach innen, während Tatsu sofort in die entstehende Öffnung hineinzielte. Er bewegte Augen und Waffe mit, als die Tür aufschwang.
Noch ein Nicken, und sie gingen rein, Tatsu vorneweg. Der Raum war leer. Die Tür nach draußen zwar geschlossen, aber der Riegel war zurückgezogen und das Schloss verschwunden, das ich zuvor gesehen hatte.
«Da», sagte ich. «Da ist er raus.» Ich dachte an Tatsus anderen Mann, der in die Gasse gelaufen war. Er und Murakami mussten auf Kollisionskurs gewesen sein.
Sie nahmen wieder ihre Positionen ein, öffneten die Tür und gingen hinaus. Ich folgte ihnen. Der Hof hinter dem Gebäude war voll gestellt mit Abfallcontainern, leeren Kisten und vergessenem Baumaterial. Ein verrosteter Generator lag abgetrennt und reglos auf der Seite. Gegenüber lehnte ein ausgeschlachteter Kühlschrank gegen eine Wellblechwand. Die Tür fehlte, und zwei der Einlegeböden hingen heraus wie Eingeweide aus einem ausgenommenen Tier.
Der Hof führte auf eine Gasse. In der Gasse fanden wir Tatsus Mann.
Er lag auf dem Rücken, die Augen geöffnet, in einer Hand noch immer die Pistole, die ihm nichts genützt hatte. Murakami hatte ihn aufgeschlitzt und liegen lassen. Der Boden um ihn herum war blutgetränkt.
«Chikusho», hörte ich Tatsu hauchen. Verdammt. Er kniete nieder und vergewisserte sich, dass der Mann tot
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