Tokio Killer 04 - Tödliches Gewissen
Stunden Aufenthalt, und dann war es nur noch ein kurzer Flug bis Tokio.
Ich überlegte, wo ich wohnen sollte. Als ich noch in der Stadt lebte, hatte ich etliche Hotels, die immer einen Koffer für mich aufbewahrten, wenn ich mich »auswärts« aufhielt, nur für alle Fälle. Doch derlei Arrangements waren mittlerweile überholt, und ich konnte nicht darauf bauen, dass die fraglichen Hotels meine Sachen noch immer hatten. Und selbst wenn doch, so könnte ihre spezielle Beziehung zu mir in der Zwischenzeit womöglich aufgeflogen sein. Ich beschloss, sicherheitshalber etwas Neues auszuprobieren.
Ich kam kurz nach Mittag am Narita Airport an. Mit dem JR Express fuhr ich zur Tokyo Station, ging dann von dort mit meinem Aktenkoffer als einzigem Gepäck zum Four Seasons in Marunouchi. Ich fragte an der Rezeption, ob noch ein Zimmer frei sei. Nur eine Suite, lautete die Antwort. Ich erwiderte, eine Suite sei mir sehr recht.
Für einen sündhaften Preis kaufte ich in einem Laden in der Lobby eine khakifarbene Hose und einen marineblauen Merinopullover. In meinem Zimmer duschte und rasierte ich mich mit dem Rasiermesser und anderen Annehmlichkeiten, die das Hotel netterweise zur Verfügung gestellt hatte. Ich rief in der Wäscherei an und sagte, dass ich gern den einstündigen Bügelservice in Anspruch nehmen würde. Mein Anzug sah aus, als hätte ich mehrfach drin geschlafen.
Ich spazierte zur Ginza, um mir frische Unterwäsche, ein Hemd und ein paar Dinge mehr zu kaufen, die man als Flüchtiger so braucht. Es war kalt und trocken - mein Lieblingswetter in Tokio -, und der Wind hatte einen klaren winterlichen Biss. Es war schön, wieder hier zu sein. Es kam mir sogar seltsam richtig vor.
Ich sah mich um, während ich so dahinschlenderte, mehr aus Freude an meiner Umgebung, als um mich abzusichern. Die Topographie hatte sich seit meinem letzten Besuch ein wenig verändert. Manche Geschäfte waren anders, etliche neue Gebäude waren hochgezogen worden, und Starbucks hatte seine unerbittliche Infiltration von Eingangshallen und Ladenfronten fortgesetzt. Aber die Atmosphäre der Stadt war unverändert: Von der Höllenfinsternis einer Unterführung eines Hibiya-Zuges zu den Glitzerläden der Ginza war es noch immer nur ein Katzensprung; das Flair von Geld, das zu verdienen und auszugeben war, von Träumen, die sich erfüllt hatten oder zerbrochen waren; die wunderschönen Menschen in den Geschäften und die alten Frauen mit den spitzen Ellbogen an den Bahnhöfen; das Gefühl, dass alle, die du in den teuren Restaurants, auf den schicken Flanierstraßen und in der feierlichen Stille der kleinen Schreine der Stadt siehst, hier sein wollen, hier in Tokio, hier und nirgendwo anders.
Ich dachte an Yamaoto und fragte mich, wann, wenn überhaupt, es sicher für mich wäre, hierher zurückzukommen. So sehr ich Rio auch mochte, richtig zu Hause fühlte ich mich dort nicht, und als ich jetzt durch Tokio ging, kam mir der Verdacht, dass das auch nie der Fall sein würde. Nachdem ich alles Nötige gekauft hatte, kehrte ich ins Hotel zurück. Mein Anzug war perfekt gebügelt worden und hing bereits im geräumigen Ankleidezimmer der Suite. Ich zog mich um, verließ das Hotel und suchte mir einen Telefonladen, wo ich mir ein Kartenhandy kaufte. Dann rief ich Kanezaki an.
»Hai«, meldete er sich.
Ich antwortete wie immer mit »he«.
Nach kurzem Zögern sagte er: »Sie sind in Tokio.«
Aha, der unaufhaltsame Vormarsch von Anrufererkennung und anderen komplizierten Technologien. »Ja«, erwiderte ich. »Ich wollte Ihnen nur mitteilen, was ich Neues über Manila rausgefunden habe. Und ich glaube, Sie schulden mir den gleichen Gefallen.«
»Ich hab noch nicht so viel herausfinden können ...«
»Erzählen Sie mir doch nichts. Sie wissen, das macht mich sauer.«
Wieder zögerte er. »Wo sind Sie?"
"Ich kann Sie im Moment sehen."
"Sie können ... was soll das heißen?«
Ich schmunzelte, stellte mir vor, wie er hektisch über die Schulter blickte oder durch sein Bürofenster. »War ein Witz. Tokyo Station, Ausgang Marunouchi Süd.«
»Ich bin ganz in der Nähe der Botschaft. Ich kann in zehn Minuten bei Ihnen sein, wenn Sie wollen?«
»Einverstanden. Rufen Sie mich an, wenn Sie hier sind.«
Ich legte auf.
Ich glaubte zwar nicht, dass er die Absicht hatte, in Begleitung zu kommen. Und dazu hätte die Zeit, die ich ihm gegeben hatte, auch nicht gereicht. Dennoch überquerte ich die Straße und behielt den Eingang von weitem im Auge.
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